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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

G.E.M. Anscombe, Aufsätze, Berlin 2014

In seinem schönen, kurzen und dabei doch sehr informativen Nachwort zum Buch macht Anselm W. Müller auf die widersprüchliche Persönlichkeit von Anscombe aufmerksam: Ungeduldig gegenüber oberflächlichen Redeweisen sei sie gewesen und gelegentlich konnte man sie auch schon einmal als rüde und arrogant erleben. Ihre kompromisslosen Maßstäbe waren aber auf der anderen Seite auch mit Teilnahme, Verständnis, Humor, Freude am Genießen, Genügsamkeit und Bedächtigkeit verbunden. Wenn man sich ihre Aufsätze so durchliest so leuchtet eher die etwas verschrobene Philosophin hervor, die sich den Kopf über Dinge zerbricht an die der Normalsterbliche nicht einen Augenblick verschwendet. Wo andere nur einen einzigen großen philosophischen Abfallhaufen sehen, da meint sie immer noch ein paar goldene Kostbarkeiten herausziehen zu können, auch wenn sie sich dabei selbst etwas schmutzig machen muss. Sie erspäht das Problem, lässt verschiedene Stimmen und mögliche, auch für sie durchaus einmal unangenehme, kritische Nachfragen zu Wort kommen und macht dann einen Lösungsvorschlag, auf dessen Grenzen sie nicht selten hinweist. Richtig betont Müller, dass sie sozusagen in einem Fluss schreibt und selten einmal einen Gedanken in einem ihrer Aufsätze wiederholend betont. Das ist ein Grund, warum es gar nicht so einfach ist ihren komplexen Gedankengängen zu folgen. Die Sprache, in der sie schreibt, finde ich dabei eigentlich gar nicht mal so schwierig, manchmal vielleicht ein wenig sperrig, aber insgesamt irgendwie zu unbetont. Oftmals ist es mir beim Lesen ihrer Aufsätze am Ende so gegangen, dass ich mich gefragt habe, was jetzt eigentlich ihr Punkt ist, was ist ihre definitive Lösung des durchgearbeiteten Problems? Sie findet sich dann schon irgendwo in ihren Zeilen, aber irgendwie unaufdringlich, als vertraue die Autorin darauf, dass es so wichtig und richtig ist, dass es keiner großartigen Hervorhebung mehr bedarf. Katharina Nieswandt und Ulf Hlobil, die beiden Herausgeber und Übersetzer des Buches, helfen dem Leser in einer kleinen Lektürehilfe am Ende des Buches dabei, die Aufsätze zu verstehen, indem sie zu jedem Aufsatz kurz schreiben um was es eigentlich geht und welche Lösung Anscombe anbietet. Danach tut es durchaus einmal gut, einen entsprechenden Aufsatz noch ein zweites Mal zu lesen. Was den Inhalt der Aufsätze betrifft: Sie sprühen über vor Originalität und Kreativität, sind tiefgründig und geeignet dem Leser neue Welten zu erschließen. Die Herausgeber haben sie in drei Abteilungen aufgeteilt: I. Praktische Philosophie (1. Nackte Tatsachen, 2. Praktisches Schlussfolgern, 3. Warum Versprechen binden (und ob in foro interno), 4. Regeln, Rechte und Versprechen, 5. Über die Grundlage staatlicher Autorität, 6. Moralphilosophie der Moderne), II. Metaphysik und Philosophie des Geistes (7. Kausalität und Determination, 8. Die erste Person, 9. Die Intentionalität der Wahrnehmung: Ein grammatischer Aspekt, 10. Die Wirklichkeit des Vergangenen) und III. Exegetische Aufsätze (11. Denken und Handeln bei Aristoteles: Was ist „praktische Wahrheit“?, 12. Ist Wittgenstein ein linguistischer Idealist?). Viele der hier versammelten Aufsätze haben wichtige Impulse für heutige philosophische Fragestellungen gegeben, geben aber dabei nur sozusagen einen Anscombe Appettithäppchen ab und können nicht etwa als wirkliche Werkschau durchgehen. Anscombe selbst ist eine Schülerin von Wittgenstein gewesen, seine Übersetzerin ins Englische und Herausgeberin wichtiger Werke von ihm. Seinen Einfluss und die Art, wie er Probleme zu lösen versuchte, sind in ihren Aufsätzen sehr gegenwärtig. Zugleich schätzt sie Aristoteles und bewundert insbesondere Hume für seinen Scharfsinn, dem sie viel zu verdanken hat. Im Nachwort erfährt der Leser, dass sie nicht nur eine der einflussreichsten Philosoph(innen)en des 20. Jahrhunderts gewesen ist, sondern nebenbei erzkatholisch, Mutter von sieben Kindern und eine ausgezeichnete Köchin.

Gerne lobe ich am Ende noch die Herausgeber für ihre überzeugende Arbeit: Tolle Auswahl der Texte, wirklich alles ins Deutsche übersetzt und auch noch gute Lesehilfen gegeben. Vorbildlich!

Jürgen Czogalla, 10.09.2016

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