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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Ronald Dworkin, Gerechtigkeit für Igel, Berlin 2012

In seinem großen Entwurf geht es dem Autor darum, uns zu einer gelungenen Lebensführung, was er als Ethik bezeichnet (eine für mich ungewohnte Begriffsbestimmung von Ethik) und zu einer rational begründbaren Moral (in der es für ihn darum geht, wie wir uns anderen gegenüber verhalten sollen) zu verhelfen. Er wendet dann seinen Ansatz unter anderem auch auf die Bereiche von Politik und Recht an. Der Autor ist der Meinung, dass moralische Urteile und Werturteile objektiv wahr sein können, dabei  handelt es sich aber nicht um schlichte, einfache Wahrheiten, wie wir sie in den Naturwissenschaften häufig finden, sondern für ihn besteht die Wahrheit einer moralischen Überzeugung in der Wahrheit einer unendlichen Anzahl weiterer moralischer Urteile, die ein Netz bilden, wobei jedes einzelne moralische Urteil sozusagen die Wahrheit der Gesamtheit der moralischen Urteile mitkonstituiert. So ist die Einheit der Werte eine zentrale These dieses Buches, ja Dworkin ist sogar davon überzeugt, dass es keine Konflikte zwischen verschiedenen Werten geben kann. Das bezeichnet dann der Autor denn auch als vollen Werteholismus: Jede Überzeugung im Bereich Moral und Ethik stärkt und unterstützt sozusagen gleichzeitig alle anderen Überzeugungen in diesen Bereichen (Zirkel der gesamten Sphäre der Werte). Für uns geht es demnach darum, uns um ein kohärentes Überzeugungsnetz zu bemühen (das wir tatsächlich für wahr halten), auch wenn uns das nie ganz vollkommen gelingen kann. Die Wahrheit finden wir interpretativ und nicht empirisch (der Autor ist der Überzeugung, dass ein bloßes Sein nicht unser Sollen bestimmen kann, sondern bei unserer Begründung des Guten immer zumindest ein Werturteil mit enthalten sein muss). Wie diese Interpretation geschieht, dafür bietet der Autor eine anspruchsvolle Theorie an. Die Urteile, die dabei heraus kommen, erweisen sich als komplex, kontrovers und nicht vollständig ausdrückbar, können uns aber doch anleiten, Werte zu identifizieren und diesen im Konkreten eine bestimmte Interpretation zu geben, die ihnen gerechter wird als eine andere Interpretation. Für die Ethik (also die rechte Lebensführung) schlägt Dworkin die 2 Prinzipien der Selbstachtung und Authentizität vor, die beide zusammen für ihn auch die Grundlage einer Konzeption der Menschenwürde liefern. Moralisch falsch wird für ihn eine Handlung immer dann, wenn sie einen Angriff auf die Würde Anderer darstellt. Moral und Ethik stützen sich in dem Entwurf des Autors gegenseitig.

Das Buch ist ganz ohne Zweifel eine ganz wichtige, profunde, ja monumentale Publikation zum Thema Ethik und Moral. Dabei wird es aber nie zu trocken, denn der Autor bringt immer wieder plastische Beispiele, auch insbesondere immer wieder aus der Rechtspraxis und Politik. Besonders eindrücklich empfand ich etwa sein Bild von den Schwimmern, die jeder auf ihrer eigenen Bahn ihre Runden drehen, als ein Bild für unser Leben: Wenn wir in die Bahn eines Anderen ‚eindringen‘, sei es im Guten oder im Schlechten, werden wir verantwortlich. Leicht ist das Buch aber sicher nicht immer, aber ich meine angesichts dieser komplexen Materie bemüht sich der Autor erfolgreich um Verständlichkeit und einladende Unterhaltsamkeit, sachlich, sehr engagiert und an passenden Stellen auch mal drastisch.

Ein herausragendes Buch selbst für die, die die Grundthesen des Autors vielleicht als etwas exotisch und abwegig empfinden mögen, denn in seinen Argumenten geht er auf aktuelle ihm widersprechende Strömungen immer wieder ein – und das sehr ausführlich.

Jürgen Czogalla, 08.07.2011

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