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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Robert Pfaller: Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente einer materialistischen Philosophie, Frankfurt am Main 2011

Nach Robert Pfaller hat sich unsere Gesellschaft seit den 90'er Jahren des 20. Jahrhunderts negativ entwickelt. Objekte und Praktiken wie z.B. Alkoholtrinken, Rauchen, Fleisch essen, schwarzer Humor und Sexualität, die bisher als glamourös, elegant und großartig lustvoll bewertet worden seien, würden jetzt zunehmend als eklig, gefährlich und fragwürdig beurteilt. Pfaller meint diesen Dingen würde tatsächlich auch immer etwas Negatives beiwohnen, was aber unter bestimmten Bedingungen als außerordentlich lustvoll erlebbar sei: Etwas Ungutes wird seiner Meinung nach zur Quelle triumphaler Lust. Und diese Genüsse bilden seiner Meinung nach für uns sogar die Gesamtheit dessen, wofür es sich überhaupt zu leben lohnt; als Beispiele für solcherartiges
'Ungutes' nennt er die Verrücktheiten der Liebe, die Unappetitlichkeiten und Schamlosigkeiten der Sexualität und die Unvernunft unserer Ausgelassenheiten und Großzügigkeiten. Auf einem unguten Element basierende Lust bezeichnet er als 'kulturelle Lust'. Wir haben es nun seiner Meinung nach verlernt, dasjenige zu schätzen wofür es sich zu leben lohnt. Wir würden jetzt lieber nach solchen widerwärtigen verabsolutierten Prinzipien wie Gesundheit, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Kosteneffizienz leben. Das kulturelle Lust verursachende nennt er 'das Heilige im Alltagsleben'. Dieses Heilige impliziere einen bestimmten Imperativ, nämlich ein Feier-Gebot, dass das ungute Kulturgut in etwas Großartiges verwandeln würde: Was normalerweise verboten wäre, würde zum Gebot. Um dieses Gebot zu erzeugen bedürfe es einer bestimmten gesellschaftlichen Situation, denn Individuen verfügten nicht über die Gesamtheit ihrer Lustbedingungen und benötigen darum den Anderen; gebraucht werde das Gebot, sich der Lust hinzugeben. Das derzeitige exzessive Maßhalten sei durch ein gemäßigtes Maßhalten zu ersetzen.

Pfallers Thesen finde ich äußerst befremdlich und zum Teil absurd. Anstelle von vernünftiger philosophischer Erörterung erwartet den Leser eine Unmenge von Psychologisierungen die oftmals mit vorgestellter Plausibilität an die Intuition des Lesers appellieren, bei näherem Nachdenken aber wenig Substanz aufweisen. Was möchte der Autor eigentlich? Die allgemeine Erlaubnis der Gesellschaft über die Strenge schlagen zu dürfen? Hat nicht jeder in unserem Land ausreichend Freiheit, das zu tun, wenn er möchte? Und wer missgönnt schon überhaupt ein bisschen Alkoholtrinken, Fleisch essen, Rauchen, Sex, ausgelassenes Feiern, etc.? Menschen, denen vielleicht nicht, wie offenbar dem Autor, der Hedonismus, letztes Ziel ihres Lebens ist, als dem Narzissmus verhaftet zu bezeichnen, ist auch nicht gerade fein vom Autor. Überhaupt fällt auf, dass der Andere offenbar nur dazu da ist für den Lustgewinn und Reflexionen über mögliche negative Folgen auch für den Anderen durch eigenes Lusthandeln spielen für den Autoren keine Rolle, sie fehlen gänzlich (z.B. Nichtraucher mit Zigarettenrauch zu quälen, 'mondän' und verantwortungslos auf öffentlichen Verkehrsstraßen herumzurasen oder mit eigenen Sexpraktiken Andere zu belästigen etc.). Es ist wohl der Traum des Autors, dass seine Neigungen von allen toll gefunden werden sollten und er so keine Rücksichten mehr zu nehmen bräuchte, aber das ist doch wohl ein ziemlich kindischer Traum, oder? Ich finde es gerade spannend und als Bereicherung, dass in unserem Land Menschen mit unterschiedlichsten Ansichten und Prinzipien ihre Heimat gefunden haben.

Jürgen Czogalla, 25.04.2011

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