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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Flaschs Darstellung des Zwiespalts Augustins

Flasch ist davon überzeugt, dass Augustinus Europa sowohl in die Irre geführt und gequält als auch auf der anderen Seite in Wissenschaft und Leben zur Identität geführt hat. Verantwortlich für diese zwiespältigen Wirkungen macht Flasch einen Zwiespalt in Augustinus Denken selbst.

1. Der Zwiespalt in Augustinus Erkenntnislehre

Die Wirklichkeit liege im Inneren und die Sinneserkenntnis ist schwach, so würde Augustinus meinen. Die Wahrheit bleibt, aber alle Sinnenerkenntnis wandelt sich und erlaubt kein normatives Urteil. Die Ideen der Glückseligkeit und Weisheit, des Guten sind uns angeboren. Allerdings habe Augustin nach dem Abbau des Geistbegriffes seiner Frühschriften immer wieder zugleich auch die Bedeutung der sinnlichen Außenwelt betont, die wie Wachs den Geist siegle. De facto läge bei Augustinus eine unausgeglichene, halbherzige Position zwischen Stoa und Vulgärplatonismus vor.

2. Divergierende Modelle in Augustinus Ontologie

Flasch meint, Augustinus habe in keiner seiner Schaffensphasen sein Vorhaben nachzuweisen, dass im Inneren des Menschen Wahrheit und Wirklichkeit zu finden sind, konsequent verwirklicht. Er habe das stoische und platonische Modell der Ontologie unklar miteinander kombiniert. Seine Genialität beweise er allerdings, indem er ein 3. Modell aus der Taufe hob, in dem der Zwiespalt aber immer noch irgendwie gegenwärtig sei, nämlich seine Trinitätslehre: Hier erscheint Gott als die höchste Wirklichkeit, eine Wirklichkeit die aber nicht bloß vorhanden ist, sondern die besteht aus einer Bewegung von Einheitsgrund, Erkenntnisakt und Willenszuwendung. Nur das beharrt, was in sich bewegt ist, was sowohl willentlich-affektiv als auch intellektuell Durchdringung leistet. Dieser Prozess der sich selbst herstellenden Subjektivität wird sein neues Leitbild für das Selbstverständnis auch des Menschen. Die denkerische Schwäche hier sei, so Flasch, dass es Augustin nicht gelingt seinen neu entdeckten Realitätsbegriff von stoischen und vulgärplatonischen Wirklichkeitsmodellen hinreichend abzusetzen, deren Divergenzen er nicht erkannte.

3. Der Zwiespalt in Augustinus Religionsphilosophie

Für Augustin ist das Christentum die wahre Religion, weil sie den Normen und Forderungen einer platonisierten Philosophie entspricht und deren Verwirklichung fördert. Agustin argumentiert nie bloß mit der Heiligen Schrift, sondern immer auch mit der Vernunft. Zugleich aber, so Flasch, begründet er allerdings auch einen die Vernunft zurückdrängenden Autoritätsstandpunkt, in dem er das Dunkle der Welt mit dem unerforschlichem Willen Gottes "erklärt". Augustinus verteidigt die Gewalt in religiösen Angelegenheiten, gleichzeitig aber formuliert er auch die Gottebenbildlichkeit der menschlichen Seele.

4. Zwischen Idealismus und Realismus

Bei Augustinus läge, so Flasch, eine starke Tendenz zur theoretischen und institutionellen Vergegenständlichung vor und trotzdem versuche er zugleich immer wieder darzutun, dass Gott eben kein Gegenstand, sondern das Gutsein des Guten, das Ist in jedem Seienden, die Wahrheit im Herzen des Menschen ist. Besonders an diesem Motiv erweise sich sein Schwanken zwischen platonischem Idealismus und stoischem Realismus.

5. Theorie als Funktion der Institution

Flasch weist in diesem Kapitel besonders auf das Austrocknen der Sprache durch - ausgerechnet - den genialen Literaten Augustinus hin: Hatte dieser vorher noch als ein auf Originalität bedachter Autor auf die Nützlichkeit individueller Ausdrucksweisen hingewiesen, hat er diesen Standpunkt in seinen späten "Retractationes" deutlich relativiert. Es gäbe nämlich keinen Weg außer Christus und alles was Christen sagen, soll mit Rücksicht auf die Verletzbarkeit christlicher Ohren gesagt werden. Die Gewohnheit der Gruppe soll also die Sprache normieren.

6. Fruchtbarkeit der Kompromisse

Flasch ist der Überzeugung, dass die große Wirkung Augustinus unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass er so inkonsequent gewesen und darum so vielseitig verwertbar gewesen sei. Die divergierenden Elemente seines Werkes konnten später die unterschiedlichsten Interessengruppen bedienen, wenn sie nur getrennt voneinander abgerufen oder doch wenigsten bestimmte Elemente besonders betont wurden.

Jürgen Czogalla

05.09.09