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Philosophisch-ethische Rezensionen
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Rutger Bregman, Moralische Ambition, Wie man aufhört, sein Talent zu vergeuden, und etwas schafft, das wirklich zählt, Hamburg 2024Rutger Bregman stellt dem Leser die Frage, ob er mit seiner Lebenszeit nicht
etwas wirklich Sinnvolles anstellen will und ob das nicht viel schöner ist, als bloß Glück als einziges und höchstes
Lebensideal. Also auch wenn das Leben dadurch womöglich nicht leichter, sondern schwerer wird. Er möchte, dass der Leser,
nachdem er sein Buch gelesen hat, die Ärmel hochkrempelt und etwas wirklich Großes, Sinnvolles und Wichtiges in Angriff nimmt.
Er konstatiert, dass die größte Verschwendung unserer Zeit die Verschwendung von Talent ist. Denn seiner Meinung nach gibt es
auf der Welt Millionen von Menschen, die einen bedeutenden Beitrag für eine bessere Welt leisten könnten, es aber nicht tun.
Sein Mittel gegen diese Verschwendung ist die moralische Ambition: Die eigene Karriere den großen Problemen unserer Zeit zu
widmen, wie z.B. Klimawandel und Kindersterblichkeit, Steuerhinterziehung oder die nächste Pandemie. Dabei gilt es nach ihm,
die üblichen Erfolgsmaßstäbe ein Stück weit zu ignorieren. Er gibt zum einen Tipps, wie man sein Lebensthema finden kann, aber
auch wie man effektiv Handeln muss, um sein gutes Ziel einer Verwirklichung entgegenzubringen, gibt also eine Art von Methodenlehre
zum Besten. Dazu gibt er eine Menge an Beispielen von Menschen, die das vorgelebt haben, die sich zum Beispiel für die Abschaffung
der Sklaverei, für das Frauenwahlrecht, gegen den Rassismus eingesetzt haben oder etwa für die Ausrottung der Pocken. Und er
zeigt heutige Projekte auf, wie zum Beispiel mit recht einfachen Maßnahmen durch eine Organisation Millionen von Menschen vor
einem Malariatod bewahrt wurden. Dabei ist es ihm wichtig deutlich zu machen, das der Einzelne, sei es im Rampenlicht oder als
unerlässlicher Unterstützer den Unterschied machen kann. Es gibt Menschen, die durch ihr Leben ungeheuer viel Gutes bewirken
konnten. Darum hat der Autor auch selbst eine „School for Moral Ambition“ mitbegründet,
deren Grundsätze er am Ende seines Buches aufführt.
Damit der moralisch Ambitionierte Erfolg hat und nicht dem Schicksal eines noblen Verlierers anheim fällt, stellt Bregman 5 große Mythen, für ihn hartnäckige Illusionen, darüber vor, wie gesellschaftlicher Wandel funktioniert und rückt sie gehörig zu recht: 1. Die Illusion vom Bewusstsein Bewusstsein wird schwer überschätzt, denn die Tatsache, dass Menschen sich Missstände aller Art bewusst sind, bedeutet längst nicht, dass sie auch entsprechend handeln. Sondern hier ist sogar oft das Gegenteil der Fall. Es kommt also nicht darauf an, was man denkt, sondern darauf, was man bereit ist zu tun. 2. Die Illusion von den guten Absichten Gute Absichten reichen nicht aus. Sondern leider zeigen viele sympathische Initiativen kaum Wirkung, weil sie selten streng evaluiert werden, und wenn doch mit oft enttäuschendem Ergebnis. Entscheidend ist, ob gute Absichten letztlich auch wirklich gute und überzeugende Wirkungen zeitigen. Die Geschichte ist voll von Idealisten, die gute Absichten haben, aber wenig bewirken. Dagegen gehört viel Mut dazu zuzugeben, dass die eigenen idealistische Pläne gescheitert sind und man seine Zeit ab jetzt einem besseren und aussichtsreicheren Projekt widmet. 3. Die Illusion von den richtigen Gründen Wer Absichten überbewertet, übersieht zumeist, dass Gutes allzu oft aus den falschen Gründen geschieht. Kluge Aktivisten können sich dies zu nutze machen. Dem jungen Abolitionisten Thomas Clarkson war sonnenklar, dass er keine Bewegung gegen den Sklavenhandel in Gang bringen würde, wenn er nur auf das Leid der Schwarzen abzielte. Darum konzentrierte er sich zunächst auf das Schicksal britischer Seeleute auf den Sklavenschiffen. Einer der bedeutendsten Abolitionisten aller Zeiten verlagerte seinen Fokus auf das Leid der Täter – mit letztlich durchschlagendem Erfolg. 4. Die Illusion von der Reinheit Noble Verlierer vergessen oft, dass jede erfolgreiche Bewegung eine Koalition von Menschen ist, die in vielen Dingen unterschiedlicher Meinung sind. Kompromisslose Haltungen schließen viele potentielle Verbündete aus. Dann ist eine Bewegung zwar 100% rein, aber 0% effektiv. Letztlich gilt es, durch dogmatische Versteifung nicht das ursprünglich Ziel aus den Augen zu verlieren. 5. Die Illusion von der Synergie Noble Verlierer meinen oft, dass ihre Ideale einander unterstützen und verstärken, dass alle guten Dinge zusammengehen. So meinen viele Klimaaktivisten, dass wir die Klimakrise nur überwinden können, wenn wir auch eine Vielzahl anderer Probleme lösen (wie z.B. kostenlose Kinderbetreuung, kostenlose Gesundheitsfürsorge, kostenlose Bildung, Grundeinkommen, Wiedergutmachungszahlungen für Kolonialismus, ja dem ganzen kapitalistischen System muss der Garaus gemacht werden und wir brauchen eine total erneuerte Demokratie). Das Risiko bei diese Strategie besteht darin, dass man für den Hauptpreis (Alles-oder-nichts) ins Feld zieht und am Ende mit leeren Händen nach Hause zurück kommt. Wichtig dagegen ist es wirkliche Entscheidungen zu treffen und für konkrete Ergebnisse zu kämpfen. Und manchmal muss man tiefer hängende Ziele anpeilen, so Bregman, um ins Schwarze zu treffen. Also, sei es, dass man bereits Aktivist ist oder einer werden will (der vielleicht noch gar nicht so recht weiß, wofür), findet in diesem Buch viele Hilfestellungen und Anregungen für ein ganz und gar ungemütliches, aber bedeutungsvolles und vor allem auch erfolgreiches Leben, mit dem man die Welt merkbar besser machen kann. Erfrischend und mit jugendlichem Elan geschrieben, für Atheisten und religiöse Menschen geeignet. Jürgen Czogalla, 01.02.2025 ![]() |