Philosophisch-ethische Rezensionen
|
|
Elisabeth Conradi, Take Care. Grundlagen einer Ethik der Achtsamkeit, Frankfurt/New York 2001In ihrem Buch, in dem ihre Dissertation einem breiten Publikum zugänglich gemacht wird, führt die Autorin sozusagen Krieg an allen
Fronten: Sie kritisiert nicht nur deontologische Ethikentwürfe, sondern auch die vertragstheoretischen und diskursethischen Ansätze. Damit aber nicht genug, kritisiert sie auch
noch zahlreiche feministische Ansätze, die eigentlich doch irgendwie schon der Care-Richtung zugerechnet werden können, genannt, besprochen und auch gewürdigt werden hier etwa
unter anderem die Ansätze von Virginia Held, Eva Feder Kittay, Stanlie James, Lorraine Code, Marilyn Friedmann, Lawrence Blum, Joan C. Tronto, Seyla Benhabib und natürlich von
Carol Gilligan, sozusagen die Über- und Urmutter dieser ganzen philosophischen Strömung. Im Grunde sucht die Autorin hier eine Care-Ethik als wirklich eigenständige Ethik zu
begründen, die unsere moralischen Probleme dann auch besser lösen kann, als andere ethische Ansätze. Allerdings wird auch deutlich, dass sie mit ihrem Buch erst noch auf der
Suche, auf dem Weg zu einer wirklich ausgearbeiteten Theorie ist. Aber natürlich hat sie schon einige Wegmarken zu setzen, die sie z. B. insbesondere auch
in neun prägnanten
Thesen im 1. Teil ihres Buches vorbringt. Dabei wird immer wieder deutlich, dass sie es schlichtweg nicht für machbar hält, Care einfach in eine Pflichtenethik hinein zu
integrieren, ohne ihre eigentlichen Anliegen dabei nicht zu verstümmeln. Sie möchte mit ihrem Ansatz über die deontologische Ethik dahin gehend hinausgehen, dass eine Kritik
an gesellschaftlichen Institutionen und Machtverhältnissen nicht nur zwischen Individuen zu geschehen hat, sondern auch situativ innerhalb einer konkreten Praxis. Aus der
Praxis Care selbst ergeben sich dann für sie bestimmte Weisen des Umgangs mit moralischen Konflikten. Auch geht es ihr nicht mehr um individuelles moralisches Entscheiden
einzelner Subjekte, sondern um ein gemeinsames moralisches Handeln, eine Moral also, die zwischen den Menschen stattfindet. Dabei bestimmt die Qualität des Kontaktes der
beteiligten Personen zueinander auch die Qualität des jeweiligen moralischen Urteils mit. Der Einzelne wird von ihr nicht als bloß abgegrenzter von anderen Subjekten
verstanden, sondern er ist immer schon auf andere Subjekte bezogen. Diese Formen der Angewiesenheit von Menschen und ihre Bezogenheit aufeinander, sowie ihre Einbindung in
gesellschaftliche Machtverhältnisse fasst sie in den Schlüsselbegriff der „Interrelationalität“ zusammen. Gegen die Diskursethik wendet sie ein, dass hier die Bestimmung von
Moral nur auf Normen reduziert wird und sich dabei auf verbale rationale Argumentation beschränkt. Für die Autorin gehören stattdessen sprachliche und nonverbale Anteile
untrennbar zusammen. Dabei bedeutet für sie aber eine Ausübung von Care nicht geradewegs immer der Konvention und dem Geläufigen zu folgen, sondern für sie beinhaltet sie auch
eine moralkritische Dimension. So spielt für sie die Reflexion, also die Distanznahme zur konkreten Situation, nicht mehr die entscheidende Rolle bezüglich der Frage, wie
kritikwürdige Zustände verändert werden können. Sie spricht von einer Achtsamkeit – im Gegensatz zu einer negativ einzuschätzenden Bevormundung -, der Beteiligten am
Care-Prozess füreinander. So nehmen sie sich als kompetent Handelnde und Urteilende wahr und so kann ein Prozess der Ermächtigung angestoßen werden, in dem gerade die
schwächeren Teilnehmer angeregt werden ihr Potenzial auszuschöpfen und zu erweitern. Diese Ermächtigung muss aber nicht notwendig an Autonomie gebunden sein, bedarf aber
langfristig auch einer Veränderung institutioneller und gesellschaftlicher Verhältnisse. Das idealisierte Voraussetzen allein symmetrischer und reziproker Beziehungen zur
Grundlegung einer Ethik lehnt die Autorin dagegen als unzulässige Einschränkungen ab. Nach Ansicht von Conradi braucht es eine Ethik, in der die Achtung voreinander eben nicht
mehr nur auf Autonomie, Gegenseitigkeit und Gleichheit gründet, aber in der Aspekte der Zuwendung einbezogen werden. Sie setzt auf eine Achtsamkeit, die Differenzen der Macht
und der Möglichkeiten berücksichtigt und die sich zwischen Beteiligten ereignet und entfaltet. Dabei ist die Achtsamkeit als Geschenk nicht an eine Verpflichtung zu einer
Gegengabe gebunden. Achtung begründet sich so in der grundlegenden Angewiesenheit von Menschen aufeinander.
Leider bin ich von diesem Buch von Elisabeth Conradi nicht so sehr angetan. Das liegt aber nicht so sehr daran, dass ich ihre Thesen schlichtweg alle für idiotisch halte – ganz im Gegenteil geht es hier um wertvolle, wichtige Einsichten -, sondern weil sich die Dissertation über weite Strecken eben auch wie eine Dissertation liest und ich diese Arbeit daher für ein breiteres Publikum nicht als empfehlenswert einschätze. Statt dass sie ihre Thesen auch mal länger eigenständig und wirklich zusammenhängend entwickelt, verwickelt sie den Leser in sehr zahlreiche Besprechungen anderer Autoren, wobei sie dann in der Regel nach erfolgter (Kurz-)Besprechung immer ein paar Sätze schreibt, womit sie gerade wieder einmal nicht übereinstimmt. So entwickelt sie ihren Ansatz viel zu sehr mit Hilfe von wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, und zersplittert ihn meiner Meinung nach dadurch fast bis zur Unverständlichkeit. Der beste Teil des Buches ist daher für mich noch der Schluss, wo sie sich auf gerade mal sieben Seiten dazu aufrafft, einmal ein bisschen von Zitaten fremder Autoren ungebundener zu formulieren und ihre Thesen noch einmal zusammenzufassen. Und schließlich wimmelt das ganze Buch auch noch geradezu von unübersetzten englischen Zitaten, sodass ich jemandem, der Englisch nicht auf gehobenem Niveau versteht, auf gar keinen Fall zum Kauf raten möchte. Fazit: Ingesamt sehr, sehr schade! Care-Ethik verdient eine verständlichere, weniger wissenschaftlich-zersplitterte Darstellung, auch gerade um gesellschaftlich wirksam werden zu können. Als Dissertation sicher top – kein Zweifel, aber als philosophisches Buch meiner Meinung nach eher Flop. Jürgen Czogalla, 09.01.2015
|