philosophisch-ethische-rezensionen auf Facebook

Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Thorsten Dietz & Tobias Faix, Transformative Ethik. Wege zum Leben. Einführung in eine Ethik zum Selberdenken, 2021 Neukirchen-Vluyn

Dies ist eine Ethik von evangelisch-christlichen Denkern, die beratend und orientierend auf die Freiheit des Selberdenkens aufbauen möchte und dabei auf Gottes Verheißungen und Gottes Wegen zum Leben vertraut. Keine Ethik, die am Bestehenden nur wegen dem Herkommen oder gegebener Machtverhältnisse festhält. Sie möchte also eine transformative Ethik sein. Dabei spielt die Bibel in einer modernen Art der Auslegung eine zentrale Rolle. Dabei werden hier 4 Ebenen unterschieden: 1. Einzelfallurteile, wie z.B. Jesu Ruf in die Nachfolge von einzelnen Menschen der genau Rücksicht auf den Einzelfall nimmt. Hier gilt für die Autoren: Je spezieller der Kontext, desto weniger übertragbar ist eine unmittelbare Anweisung. 2. Allgemeine Regeln und universale Prinzipien. Hier gilt, dass schon innerbiblisch oft allgemeine Regeln der Tora durch völlig neue geschichtliche und kulturelle Entwicklungen außer Kraft gesetzt werden (so verlieren für Christen die Reinheitsvorschriften etwa ihre Bedeutung). Prinzipien, die weiterhin wichtig sind, sind nach Meinung der Autoren etwa Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit, die sich aber nicht gegenüber der Bibel verselbständigen dürfen. 3. Christliche Story und geschichtliche Entwicklungen. Das ist das erzählerisch verfasste Weltbild der Bibel, in der sich die christlichen Grundüberzeugungen von Gott, Mensch und dem Ziel der Geschichte widerspiegelt, und wie Christen selbst ihr Leben wahrnehmen. Dabei lässt sich feststellen, dass keine christliche Gruppe alles insgesamt konsequent einfordert, was in der Bibel geboten wird. Schon in der Bibel selbst lässt sich eine moralische Entwicklung nachweisen, die bis heute anhält. Man wird dem Geist der Bibel also nur gerecht, wenn man diese Entwicklung wahrnimmt und sie in der Geschichte fortsetzt. Die inspirierende Kraft biblischer Texte gilt es nach Ansicht der Autoren in der heutigen Ethikdebatte zur Geltung zu bringen. In ethischem Handeln ist der große Gesamtplan, die Story Gottes zu berücksichtigen. Dieser Ethik gelten das christliche Verständnis von Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit als Wegweiser. Den Weg zur ethischen Entscheidung fassen sie in 3 Schritte zusammen, die sie detailliert ausführen: Losgehen, Orientieren und Ankommen.

Herauszuheben ist meiner Meinung nach, dass es sich hier nicht um eine christliche Ethik handelt, die behauptet, dass sich aus der Bibel gar keine Ethik entwickeln lässt, sondern hier steht die Bibel im Zentrum. Das bedeutet natürlich, dass die Grundlage etwas ist, über das man sich mit den vielen anders Gläubigen zwar nicht einig ist, man dann aber z.B. natürlich über die Prinzipien der Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit ins Gespräch kommen kann, man geht also sozusagen christlich gestärkt und ermutigt in eine breitere Diskussion. Das Problem ist natürlich dabei, dass die Bibel ein sehr dickes, unübersichtliches und auch desöfteren etwas widersprüchliches Buch ist. Will ich dieser Ethik folgen, muss ich mich also mit diesem Buch intensiv auseinandersetzen und es auch irgendwie recht verstehen, eine hohe Voraussetzung, wenn man weiß, was so alles in der Bibel steht. Die Autoren versuchen die hohen Voraussetzungen etwas zu entschärfen, indem sie in ihrem Buch sozusagen die für die Ethik relevante Story der Bibel ganz kurz nacherzählen und so sozusagen schon für den Leser eine Schneise in das Dickicht der Bibel schlagen, Orientierungshilfe für die Bibellektüre geben. Wenn Sie dann ihre 3 Schritte am Ende des Buches ausführen, die bei einer ethischen Entscheidung helfen sollen: Losgehen, Orientieren, Ankommen, wird es dann allerdings recht kompliziert und meiner Meinung nach für das ganz normale Leben und die normale ethische Situation zu schwierig und komplex. Das ist dann eher eine Ethik für Manager, die hier für schwierige Projekte Begleitung erfahren. Und das finde ich schade. Es gibt empfehlenswerte säkulare Einführungen in die Ethik, die leichter verständlich, kürzer und auch leichter anzuwenden sind, ohne das Selbstdenken abzuschalten, als dieses hier meiner Meinung nach hoch anspruchsvolle vorliegende Buch. Man kann es aber auch „light“ lesen, nicht die Bibel als ethisches Vorlagenbuch, sondern als Inspirationsquelle für das eigene Handeln, wenn man Christ ist + die lebendige Gottesbeziehung + die christliche Gemeinschaft. So gelesen – und damit aber nicht mehr ganz voll genommen – findet man viele anregende und verwertbare Gedanken, auch wenn man es selbst nicht zum Schriftgelehrten mit überzogenen Ansprüchen bringt.

Jürgen Czogalla, 23.11.2025

Impressum