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Philosophisch-ethische Rezensionen
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Raphaela Edelbauer, Die echtere Wirklichkeit, Stuttgart 2025Heute möchte ich einen eher ungewöhnlichen philosophischen Roman vorstellen.
Im Zentrum steht eine fiktive Terrorgruppe mit dem Namen Aletheia – altgriechisch für „Wahrheit“. Ihr Ziel: die Verteidigung
einer objektiven Wahrheit gegen alles, was nach ihrer Ansicht den Zeitgeist prägt – Postmodernismus, alternative Fakten,
Verschwörungstheorien und die Aushöhlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Das Skurrile daran: Die Gruppe ist überzeugt, man könne diese „philosophische Wahrheit“ nur mit Gewalt durchsetzen. Eine absurde, aber faszinierende Ausgangsidee für einen Roman, zumal wir ähnliche Mechanismen sonst eher aus dem religiösen Fundamentalismus kennen. Die Hauptfigur trägt den Spitznamen Byproxy. Sie ist eine junge Frau im Rollstuhl, die nach einem gewalttätigen Vorfall aus einer betreuten Wohneinrichtung geworfen wird. Auf ziemlich abenteuerliche und wenig glaubwürdige Weise gerät sie in den Bann der Gruppe, die aus insgesamt 4, 2 Frauen und 2 Männern, Mitgliedern mit philosophisch-wissenschaftlichen Hintergrund besteht, was bei Byproxy nicht der Fall ist. Sie wird zunächst als Praktikantin angelernt und philosophisch gedrillt. Von allen Charakteren ist sie die einzige, die wirklich näher beleuchtet wird. In Rückblenden erfährt man Stück für Stück mehr über ihre traumatische Vergangenheit – vor allem über eine zerstörerische Beziehung, die sie nicht nur emotional, sondern auch körperlich gezeichnet hat. Nebenbei arbeitet sie als Spieleentwicklerin an einem grotesk anmutenden Spieldesign, was die Figur noch schillernder macht. Der Roman zeigt, wie die Gruppe langsam, aber stetig abrutscht: von harmlosen Streichen hin zu gefährlichen Anschlägen. Dabei bleibt man als Leser die ganze Zeit innerhalb dieser abgeschlossenen „Blase“. Außenstehende Figuren tauchen zwar sporadisch auf, haben aber praktisch kein Gewicht. Eigentlich gibt es keinen wirklich sympathischen Charakter. Stattdessen wird man mitten in die Gedankenwelt dieser schrägen Truppe geworfen. Die Autorin arbeitet viel mit schwarzem Humor und lässt die grotesken Momente sprachlich sehr gekonnt aufblitzen. Gleichzeitig wirkt das Geschehen immer noch so realistisch, dass man unwillkürlich denkt: Ja, so etwas Absurdes könnte es vielleicht wirklich geben. Gerade das macht die Lektüre irritierend. Man schwankt ständig zwischen „Das ist doch völlig überzogen“ und „So weit weg von der Realität ist es gar nicht“. Unterm Strich bleibt ein düsterer, pessimistischer Roman. Er bietet keine Identifikationsfiguren, keine aufbauende Handlung, sondern eine schonungslos groteske Studie über menschliches Denken und Radikalisierung, über absurdes menschliches Handeln und Denken. Wer sich darauf einlässt, bekommt sprachlich ein starkes Werk geboten. Was man wissen muss: Immer wieder gibt es längere theoretisch- philosophische Passagen der Gruppe zu lesen, die nicht ganz leicht verständlich sind. Mir persönlich ist das Ganze zu finster. Jürgen Czogalla, 21.09.2025 ![]() |