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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Jörg Friedrich, Kritik der vernetzten Vernunft. Philosophie für Netzbewohner, Hannover 2012

Für Friedrich besteht Philosophie darin sich um ein möglichst klares Verständnis der Realität und des eigenen Tuns in der Wirklichkeit zu bemühen, die Voraussetzungen unseres Umgangs mit dem was uns umgibt, aufzuklären. Darum wird auch immer das, was uns selbstverständlich erscheint hinterfragt, also das, was sich normalerweise einem Begründen entzieht. Dabei meint er, dass es prinzipiell nicht möglich sei zwischen richtigen und falschen Antworten auf philosophische Fragen zu unterscheiden. Trotzdem schreibt er ein philosophisches Buch. Für ihn ist das eigentlich Wichtige Fragen bezüglich des Selbstverständlichen überhaupt zu stellen. Darum steht seiner Meinung nach auch Philosophie zwischen Wissenschaft und Kunst: Wissenschaftlich ist sie, insofern sie nach Erkenntnis des Allgemeinen strebt, Kunst insofern, dass sie die Wahrheit des einzelnen Philosophen ist, die Friedrich als ein bloßes Angebot an den Empfangenden ansieht. Diesem kann sie dann aber dabei helfen ein, jeweils sein ‚Netz‘ über die Realität zu werfen und seine Welt zu erzeugen, zu befestigen, bzw. gegebenenfalls auch zu destabilisieren.

Das Buch orientiert sich an den großen Fragen von Immanuel Kant, nämlich was wir wissen können, was wir tun sollen, was wir hoffen dürfen und sozusagen alle diese Fragen zusammenfassend, was denn der Mensch sei. Der Autor verwendet viele Metaphern und Beispiele aus aktueller IT und sonstiger Technik (so ist die schöne Grundmetapher des ganzen Buches die vom vernetzten Gewebe, das wir spannen, bzw. das uns umgibt und in das wir eingebettet sind, jedes Subnetz - das kann z.B. eine Person sein - ist eine eigene Welt, die sich über das Netz dann mit Teilen der übrigen Welt verknüpfen und an die selbst auch angedockt werden kann. Die Netzwege werden überwuchert von einem ‚unordentlichen‘ Gewebe, das z.B. aus unseren (ungeordneten) persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen besteht, die wir gemacht haben, und dem, was wir von unserer Umwelt alles mitgelernt haben. Über Netzpunkte geben wir dann aus diesem Gewebe heraus Informationen von uns geordnet und idealisiert weiter. Als Beispiele für seine Gedankengänge greift der Autor fernerhin oftmals auf solche Dinge wie Apps, Handy, Notebook, Web,  etc… zurück).

Da mich besonders das Thema Ethik interessiert, habe ich natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit das 2. Kapitel des Buches ‚Was tun‘? gelesen. Hier wartet man vergeblich darauf, gesagt zu bekommen wie man das Gute in seinem Leben erreichen kann, eigentlich ist das auch hier gar kein Thema. Vielmehr wird der Frage nachgegangen, was nach der ‚Welt‘ des Autors eine Handlung überhaupt ist und wie wir durch Kultur, Künstlichkeit, Kunst und Technik die ‚Realität‘ nach unseren Bedürfnissen anpassen, das Problem der Freiheit wird angesprochen und – was ich besonders interessant fand – die Möglichkeiten der Gesellschaftswirksamkeit der Aktivitäten der Online-Community ausgelotet. Das Sollen definiert der Autor lediglich als Ansprüche der Anderen, die an uns gestellt werden, desweiteren reflektiert er auch über Gewissen und Moral. Die Phänomene werden analysiert, aber eigentlich keine begründeten Normen oder Regeln vorgeschlagen.

Das Buch vermittelt mir den Eindruck von Opazität, d.i. es findet kaum explizite Auseinandersetzung mit gegenläufigen philosophischen Ansichten in dem Sinne statt, dass die eigenen Ausführungen von wirklich starken Gegenargumenten unterbrochen (und damit auch vertieft) werden, aber vielleicht ist das ja auch gar nicht so einfach, wenn man anzweifelt, dass es überhaupt richtige und falsche philosophische Antworten gibt, eine, wie ich persönlich übrigens finde, überzogene Skepsis, die ich so nicht teile.

Insgesamt ist es meiner Meinung nach ein Buch, das große Ruhe ausstrahlt und interessante, sehr anregende Gedanken, Bilder und Reflexionen bietet. Ich bin den Ausführungen des Autors gerne gefolgt.

Jürgen Czogalla, 02.09.2012

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