Philosophisch-ethische Rezensionen
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Tamás Miklôs, Der kalte Dämon. Versuche zur Domestizierung des Wissens, München 2016Miklôs spannt einen Bogen von der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert. Er
schreibt eine Geschichte der Geschichtsphilosophie. Dabei suchte die Philosophie in der Aufklärung zunächst den Begriff
der Naturordnung durch die Vernunft der Geschichte abzusichern. Der Erfahrung einer sinnlosen und törichten Geschichte,
die droht die ausgezeichnete Rolle des Menschen zu zerstören, wird mit der Widerständigkeit des Intellekts entgegengetreten,
der eine Art von Naturabsicht in dem Durcheinander der Geschichte zu entdecken sucht, so bei Kant. Das Fehlen der Naturordnung
wird bei ihm zwar als Garant der wirklichen Freiheit des handelnden Menschen wahrgenommen, zugleich ist aber der Gedanke
einer Naturordung für die Vision einer freien Gesellschaft als Endpunkt unentbehrlich. Diese Kluft galt es irgendwie zu
überbrücken. Am Ende steht einige Jahrhunderte später Feyerabend. Für ihn macht das verrückte Leben gar keinen Sinn,
und wenn man einen konstruieren will fügt man altem Unsinn nur eine Menge neuen Unsinn hinzu. Für Miklôs ist er es,
der tatsächlich das Programm der aufgeklärten Vernunft zu Ende führt. In Feyerabends Weltbild hat die Wahrheit keinen
Platz mehr, sie ist ein Wort ohne Sinn. Er erachtet alle Beschränkungen und Tabus für Theorien als falsch und gefährlich
für den Verstand und zelebriert darum selbst einen eigenen, heiligen Relativismus. Für Ihn ist Wissenschaft ein anarchistisches
Unternehmen in dem alles erlaubt ist.
Miklôs beschäftigt sich in eigenen Kapiteln mit der Geschichtsphilosophie Kant‘s, Schelling‘s, Mendelsohn‘s, Schiller‘s, Hegel‘s, Burchkardt‘s und Nietzsche‘s, Benjamin‘s, Löwith‘s, Marquard‘s, Duerr‘s und Feyerabend‘s. Die Qualität der einzelnen Kapitel variiert meiner Meinung nach doch ziemlich stark, wird aber nie zum Fiasko. Bärenstark ist für mich z. B. die Darstellung Kant‘s, Schiller‘s, Benjamin‘s und Feyerabend‘s, ziemlich schwach dagegen etwa die Darstellung Hegel‘s, Nietzsche‘s und Löwith‘s. Insgesamt gesehen machte mir das Buch aber riesigen Spaß und eröffnete mir neue Horizonte, besonders in dem es Entwicklungslinien über die Jahrhunderte und die immer noch bleibende Aktualität geschichtsphilosophischer Fragestellungen aufzeigt. Die Klassiker der Geschichtsphilosophie sind für den Autor nicht einfach naive Fortschrittsgläubige, sondern ernstzunehmende und anregende Gesprächspartner. Für Ihn zeigen sie uns den Abgrund unserer eingestürzten Welt, in der wir selbst Fremde geworden sind. Jürgen Czogalla, 06.05.2017
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