Philosophisch-ethische Rezensionen
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Alexander Nehamas, Über Freundschaft, München 2017Nehamas geht der Frage nach worin das Wesen der Freundschaft besteht.
Sein Buch stellt dabei eine Kritik und deutliche Erweiterung der Position des Aristoteles dar, die er zuvor kurz
referiert. Wirkliche Freundschaft besteht für Aristoteles erst dann, wenn wir uns zu anderen Menschen nicht hingezogen
fühlen, weil wir von Ihnen bloßen Gewinn (z. B. Geschäftsbeziehung) oder Lust (wegen des Genusses) erwarten, sondern
aufgrund der Vortrefflichkeit des Freundes: Wir lieben ihn aufgrund seiner Persönlichkeit. Ohne solches Vortreffliche
ist also wahre Freundschaft für Aristoteles nicht möglich, ja ohne sie wäre unser Leben auch nicht wirklich lebenswert.
Nur gute Menschen können also Freunde sein. Der Autor kritisiert, dass Aristoteles Ansicht nicht so recht zu unseren
Erfahrungen passen will. Zwar können wir uns mit Menschen die wirklich böse sind tatsächlich nicht anfreunden, wir
haben aber kein Problem damit, die Fehler unserer Freunde – seien es nun kleine oder größere – zu entschuldigen. Zwar
stimmt es, dass wir nur mit Menschen befreundet sein können, an denen wir auch etwas Schätzenswertes finden, aber in
Fakt lieben wir unsere Freunde auch trotz ihrer Fehler und mitunter gerade wegen ihrer Fehler. Auch ist dies
Schätzenswerte nicht unbedingt wie bei Aristoteles eine allgemein anerkannte Tugend, sondern wir finden am anderen
oft etwas anziehend, was andere womöglich völlig gleichgültig lässt oder sogar abstößt. Wir halten vielmehr für Tugend,
was wir am anderen bewundern, ganz egal ob es als Tugend gilt oder nicht. Der Autor geht dann noch die Geschichte der
Freundschaft mit dem Leser durch, wobei er besonders darauf hinweist, dass in der Moderne die Freundschaft sich vom
öffentlichen in den privaten Bereich verschiebt. Dann wirft er in eigenen Kapiteln einen Blick auf die Darstellung der
Freundschaft in bildender Kunst, Prosa, Lyrik und Drama. All dies wird dann zum Beleg dafür, dass Aristoteles zu kurz
gedacht hat, wobei der Autor auch immer wieder persönliche Erfahrungen mit einbringt. Schließlich stellt er detailliert
seine Ansicht darüber vor, warum wir Freunde eigentlich lieben: Was eine Freundschaft zu einer Freundschaft macht sind
nicht gemeinsame Aktivitäten, sondern die Beweggründe, aus denen diese Aktivitäten Teil der Freundschaft sind. Nehamas
meint unsere Versuche zu erklären, warum wir jemanden mögen, bleiben letztlich immer unbefriedigend. Der Freund ist für
ihn wie eine lebendige Metapher letztlich unerschöpflich. Freundschaft verspricht eine bessere Zukunft, solange sie währt.
Diese Zukunft ist aber noch nicht wirklich bekannt und darum bleibt unser Erklärungsversuch, warum wir unseren Freund mögen,
nach Ansicht des Autors so dünn. Es schwingt immer ein offenes Ende mit, ein „und so weiter“. Wenn ich wirklich einmal
alles Wichtige über meinen Freund wüsste und es nichts Neues mehr gäbe, dann wäre die Freundschaft auch bereits verschwunden.
Wenn wir unsere Freunde lieben, dann lieben wir auch, was aus uns selbst durch diese Beziehung wird. Durch die Beziehung,
die auf eine unvorhersagbare Zukunft hin ausgespannt ist, geben die Freunde einander Macht über sich ihre Identität in
Frage zu stellen. Der Autor zitiert dann den von ihm hochgeschätzten Montaigne, der meint, dass man den Freund liebt, weil
Er Er ist und ich ich bin. In weiteren Kapiteln beschäftigt sich der Autor mit der Frage, warum Freundschaften zerbrechen
und warum Freundschaft ein so hohes Gut ist.
Das Buch gefällt mir trotz etlicher Redundanzen. Der Autor zeichnet dabei ein realistisches und liebenswertes Bild der Freundschaft, dass auch dunkle Aspekte nicht ausschließt und sich von einseitiger Schönfärberei abhebt. Gelungen sind die vielen Beispiele aus dem persönlichen Umfeld und der Kunst, die sozusagen eine schöne empirische Grundlage für die Überlegungen bilden. Zudem enthält das Buch auch eine ganze Reihe von netten Abbildungen, die das Ganze zusätzlich anschaulich machen. Unangemessen hingegen finde ich, dass das Buch zu einem Drittel aus einem Anhang besteht (Danksagung, Bildnachweis, Register, Anmerkungen). Das geht zu weit und täuscht den unvorsichtigen Buchfreund über die Größe des wirklichen Inhalts hinweg, die sich in Grenzen hält.
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