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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Susan Neiman, Warum erwachsen werden? Eine philosophische Ermutigung, München 2015

Immer wieder kann man hören, dass die beste Lebenszeit die Zeit der Jugend wäre. De facto aber, so meint Susan Neiman, sei das durchaus eine sehr schwierige und schmerzliche Zeit; und danach soll es nun also immer weiter Berg ab gehen mit der Lebensqualität? Susan Neiman zeigt in ihrem Buch, dass das einfach ein Mythos ist. Sie verweist unter anderem auf Studien, die belegen, dass gerade das spätere Alter für die meisten Menschen das glücklichste ist, wobei der eigentliche Tiefpunkt nach weltweiter Statistik bei etwa 46 Jahren liegen würde, bevor es dann wieder stetig aufwärts geht. Für sie ist Erwachsensein ein subversives Ideal, das nie vollkommen erreicht werden kann, nach dem zu streben aber sehr lohnend ist: Es geht darum wirklich mündig zu werden, oder um es mit Kant zu sagen, den Mut zu entwickeln, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Auch ein Bemühen, an der Befreiung der nächsten Generation zu arbeiten, und auch dann, wenn man sich eingestehen muss, dass man letztlich im eigenen Handeln und Denken nie gänzlich erfolgreich gewesen ist, dies immer wieder produktiv wegzustecken lernt. Diese Mündigkeit aber, so weiß die Autorin, kann nicht anbefohlen, sondern sie muss von jedem Einzelnen immer wieder neu erwählt werden. So scheinen im Alter denn für sie auch viele Lichter heller zu leuchten: Inneres Wachstum, gesteigerter ästhetischer Genuss und die Begierden können nun besser beherrscht werden. Auch die Fähigkeit, sich selbst und die Welt besser einzuschätzen, steigt an. Vor allem aber ist es eben diese Urteilskraft, die im Alter stetig zunimmt, auch wenn die Gedächtnisleistung abnehmen mag. Ein gutes Urteilsvermögen aber ist für Susan Neiman ein ganz wichtiges Zeichen von Erwachsensein. Sie bezieht sich dann etwa auf Kant (neben seinem Modell für die Entwicklung der Vernunft in den verschiedenen Lebensaltern, dass sie ebenfalls anspricht), der drei Punkte vorbringt, an die man sich halten kann, wenn man wirklich mündig werden will: 1. Selbstdenken, 2. An der Stelle jedes Anderen denken und 3. Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken. Letzteres lässt sich nach Meinung der Autorin fördern, wenn wir uns immer wieder fragen, ob es dieses Leben, was wir gerade leben, wirklich das Leben ist, das wir auch leben wollen. Philosophie jedenfalls, so meint Neiman, kann uns helfen, Wege ins Erwachsensein zu finden, ohne dass wir resignieren. Sie kann uns auch immer wieder dazu motivieren, den Graben von dem was ist zu dem was sein soll durch unser tätiges Handeln zu schließen, denn gerade dies erweist sich als ausgezeichnete Aktivität des Erwachsenseins.

Susan Neiman's Buch hält, was es verspricht: Es macht Mut zum Erwachsenwerden, ein Prozess der niemals endigt und an dem auch noch die ganz Alten arbeiten müssen. Immer wieder weist sie auf entmutigende Tendenzen in unserer Kultur hin, für die sie aber immer wieder auch dem Leser Gegenmittel anbieten kann: Lass Dich nicht unterkriegen, Erwachsenwerden ist schön, es lohnt sich! Ihre philosophischen Gewährsmänner dafür sind schwerpunktmäßig Philosophen der Aufklärung, sei es nun Rousseau, Voltaire, Hume oder natürlich Kant. Aber sie bezieht sich z. B. auch mal hin und wieder auf Klassiker der Antike und für die Modernen zitiert sie z. B. etwa häufiger auch mal Hannah Arendt. Trotzdem meine ich, dass gerade zeitgenössische philosophische Stimmen bei ihr nur wenige zu hören sind, und das finde ich ein bisschen schade. Trotzdem ist es natürlich immer noch ein sehr gutes, empfehlenswertes und Mut machendes Buch geworden, das ich sehr gerne gelesen habe.

Jürgen Czogalla, 07.03.2015

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