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                Philosophisch-ethische Rezensionen
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Michael Pauen, Ohne Ich kein Wir: Warum wir Egoisten brauchen, Berlin 2012Michael Pauen möchte, wie er selbst bemerkt, pragmatisch  argumentieren, nicht moralisch, und vertritt die These, dass wir alle am besten  damit fahren – jeder Einzelne und die Gemeinschaft – wenn wir uns als  emphatische Egoisten verhalten. So legt er auch in seinem Buch Untersuchungen  zu unseren sozialen Fähigkeiten und unserem sozialem Verhalten vor (in zwei von  drei Teilen seines Buches), bzw. referiert hier immer wieder hochinteressante  sozialpsychologische Experimente, die auch die bedenklichen Seiten, die  Gefahren einer Gruppe offenlegen, die zu homogen und deren Bindungen zu stark  sind: Der Gruppendruck kann unter Umständen auch ganz normale, anständige  Bürger zu ganz unmoralischem Verhalten bewegen, so dass sie erst im Nachhinein überhaupt  bemerken - wenn sie sozusagen wieder aus der Gruppe genommen wurden - was mit  ihnen geschah und zu was sie sich alles bereit erklärten zu tun und was sie  allein ohne spezielles Gruppenmitglied zu sein nie getan hätten (man denke nur  etwa an die ganz normalen Bürger die sich in der Nazizeit der Judenvernichtung gewidmet  hatten). Der Autor versucht dann zu zeigen, dass Gruppen immer dann besonders  gut funktionieren, wenn die Mitglieder der Gruppe von ihren Persönlichkeiten  und Interessen her „durchgemischt“ sind und auch versuchen ihre eigenen  Interessen in Konkurrenz mit den anderen Gruppenmitgliedern immer wieder  durchzusetzen. Dabei sind die Ergebnisse aber nur dann wirklich gut, wenn die  Individuen als emphatische Egoisten auch anerkennen, dass auch das Wohlergehen  der anderen Menschen in ihrem ureigensten Interesse liegt und sie also auch  befähigt sind, die Perspektive Anderer einzunehmen und ihre Bedürfnisse mit zu  berücksichtigen. Die Gemeinschaft wiederum sollte Bedingungen schaffen, die den  emphatischen Egoismus fördern und ermöglichen, damit alle dann den Gewinn  sozusagen gemeinsam abschöpfen können.
       Mein Eindruck vom Buch ist zwiespältig: Zum einen blendet der Autor altruistisches Handeln aus seinen Betrachtungen aus – er will ja den emphatischen Egoismus befördern und hält so im Grunde altruistisches Verhalten nur noch in Notfällen für vernünftig. Aber zum Glück, wie ich meine, ist unser Leben noch überall von altruistischen Handlungen umgeben, die in der Tat viel zu unserem Wohlbefinden beitragen: Meiner Mutter schenke ich eben nicht aus Eigeninteresse einen Blumenstrauß zum Muttertag, genauso wenig wie ich meiner vollbepackten Nachbarin die Tür aufhalte, weil ich dabei an meinen eigenen Gewinn denke. Und wenn mein Freund sich mit mir unterhält erwarte ich zu recht, dass er im Umgang mit mir nicht bloß sein Eigeninteresse verfolgt. Wahrscheinlich ist es doch so, dass gerade weil wir paradoxerweise unser Eigeninteresse auch immer mal wieder bereit sind auszublenden und zurückzustellen, wir letztlich auch Gewinne - und zwar keine kleinen - für uns und unser Umfeld einfahren können: Gewinne, die nicht berechnet sind. Zum anderen möchte der Autor auch moralische Fragestellungen völlig ausblenden und rein pragmatisch argumentieren. Das führt dann unter anderem dazu, dass ihm eine wirkliche Versöhnung von individuellem Interesse und Gruppeninteresse in meinen Augen kaum gelingt, denn hier entfaltet Moral und moralisches Umfeld gerade ihre besondere, ja überragende Kraft. So bleibt dem Autor auch nicht viel mehr dazu zu sagen, als dass eben Diskussionen und Verabredungen helfen und gegebenenfalls Strafen gegen Trittbrettfahrer vorzunehmen seien – das empfinde ich als extrem unterkomplex. Jürgen Czogalla, 01.05.2012  
     
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