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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

William David Ross, Das Richtige und das Gute, Hamburg 2020

Das Buch ist ein klassischer ethischer Text des 20. Jahrhunderts, Erstausgabe Oxford 1930, hier in deutscher Übersetzung mit hilfreicher Einleitung von Bernd Goebel und Philipp Schwind. Ross fragt zunächst einmal im ersten Kapitel nach der Bedeutung von „richtig“. Seiner Meinung ist „richtig“ im Großen und Ganzen bedeutungsgleich mit „was meine Pflicht ist“. „Richtig“ und „falsch“ beziehen sich seiner Meinung nach ganz auf die getane Sache, während dazu im Unterschied sich „moralisch gut“ und „moralisch schlecht“ auf das Motiv beziehen, aus dem heraus gehandelt wird. „Richtig“ und „gut“ sind für ihn irreduzible Begriffe. Im zweiten Kapitel fragt er dann, was richtige Handlungen richtig macht. Für ihn ist eine Handlung dann richtig, wenn wir unsere Pflicht erfüllen. Er spricht von Prima-facie-Pflichten unter denen wir in komplexen Situationen auswählen müssen, nachdem wir uns die Umstände durch den Kopf haben gehen lassen. Dann müssen wir entscheiden, welcher Prima-facie-Pflicht wir den Vorrang einräumen und dem gemäß die richtige Handlung ausführen. Prima-facie-Pflichten sind nicht willkürlich. Ross unterscheidet 6 Kategorien: 1. Treuepflichten (Versprechen und Wiedergutmachtungspflichten), 2. Dankbarkeitspflichten, 3. Pflichten der Gerechtigkeit (Herbeiführen einer Verteilung von Glück gemäß Verdienst), 4. Wohlätigkeitspflichten, 5. Pflichten der Selbstvervollkommnung (Tugend und Einsicht verbessern) und 6. Pflicht anderen keinen Schaden zuzufügen. Die richtige Handlung ist für ihn auch ein glückliche Handlung, da wir uns nie auch nach entsprechender Überlegung absolut sicher sein können ob wir der richtigen prima-facie-Pflicht den Vorzug gegeben haben. Trotzdem ist das Tun unserer Pflicht aber seiner Meinung nach alles andere als rein zufällig. Denn wir tun mit größerer Sicherheit unsere Pflicht, wenn wir die Prima-facie-Richtigkeit oder Falschheit verschiedener Handlungen erwägen. Das führt zu einer größeren Wahrscheinlichkeit das Richtige zu tun und mit dieser Wahrscheinlichkeit müssen wir uns seiner Meinung nach zufrieden geben. Er meint, dass eine Handlung nicht dadurch richtig ist, dass sie gute Resultate zeitigt, sondern dadurch, dass sie selbst die Herbeiführung eines bestimmten Sachverhaltes ist. Das Herbeiführen ist für ihn richtig, unabhängig von irgendwelchen Folgen. Dass z.B. eine Handlung als Erfüllung eines Versprechens prima facie ebenso richtig ist wie eine gerechte Verteilung des Guten oder als Erwiderung erwiesener Dienste oder als Beförderung des Wohls anderer oder als Beförderung der eigenen Tugend ist für Ross selbstevident. Aber nicht so, dass uns dies schon von Geburt an klar ist, sondern es wird selbstevident, wenn wir genügend geistige Reife erlangt und diesen Aussagen hinlänglich Aufmerksamkeit gewidmet haben, ganz so wie ein mathematisches Axiom selbstevident ist. Die in den Aussagen ausgedrückte sittliche Ordnung ist ebenso Teil der grundlegenden Beschaffenheit des Universums wie dessen räumliche und numerische Struktur, die in der Geometrie und Arithmetik zum Ausdruck kommt. Darum bedürfen diese Aussagen keines Beweises. Im dritten Kapitel fragt Ross nach der Bedeutung von „gut“. Im vierten Kapitel geht es um das Wesen der Gutheit, die für Ross völlig objektiv und den Dingen, die gut sind, intrinsisch ist. Im fünften Kapitel stellt Ross dar, welche Dinge aus seiner Sicht gut sind. Intrinsisch gut ist für ihn 1. tugendhaftes Handeln und tugendhafte Dispositionen, 2. die Tatsache, dass ein empfindungsfähiges Wesen Lust empfindet, ist immer für sich genommen gut, solange diese Tatsache nicht Teil einer komplexeren Tatsache ist, welche weitere Merkmale besitzt, die die Gut- und Schlechtheit beeinflussen können, 3. die Verteilung von Lust und Schmerz im Verhältnis zu Tugend und Laster und 4. Wissen und richtige Meinung (letzteres in etwas geringerem Grade). Im 6. Kapitel geht es um Grade der Gutheit. Tugend hält er gegenüber der Lust als unendlich überlegen, so dass kein noch so großer Gewinn an Lust den Verlust von Tugend ausgleichen kann. Dasselbe gilt für das Verhältnis von Wissen und Lust. Das 7. und letzte Kapitel widmet sich der moralischen Gutheit. Für Ross ist moralisch etwas gut, wenn es als eine bestimmte Art von Charakter erscheint oder mit einer bestimmten Art von Charakter in Verbindung steht. Die moralische Gutheit des moralisch guten Handels beruht für ihn auf einer bestimmten Art von Motivation. Ross nennt drei Arten von moralisch gutem Handeln: 1. pflichtbewusstes Handeln, 2. Handeln, welches etwas Gutes bewirken möchte (Verbesserung des eigenen Charakters oder den eines anderen, auch Verbesserung der intellektuellen Fähigkeiten) und 3. Handeln, welches dem Wunsch entspringt, bei einem anderen Wesen Lust zu bewirken und Schmerz zu vermeiden.

Ross Ethik hat auch heute noch einen gewissen Reiz, zumal er viel mit dem common sense argumentiert. Viele Auseinandersetzungen, die er in seinem Buch mit Philosophen seiner Zeit führt erschienen mir bei der Lektüre allerdings schon etwas angestaubt und auch ein bisschen zu langatmig. Wer sich in Ross Ethik vertieft, der betritt eine Art von Kathedrale die meint objektive Wirklichkeit abbilden zu können, allerdings offensichtlicher Lehnstuhlphilosophie entsprungen ist, die sich nicht für empirische Daten interessiert und den common sense derjenigen widerspiegelt, die Ross für moralisch gebildet und besonders lebenserfahren hält. Ich habe so etwa für mich das Gefühl, dass wenn man sich zu intensiv mit dieser Kathedrale beschäftigt, vielleicht zu sehr mit eigenen Gedanken und Konstruktionen umgeben ist, als mit der Welt, in der man tatsächlich lebt. Eine Ethik die dermaßen pflichtzentriert ist und deren Pflichtenkatalog so „hervorgezaubert“ wird, halte ich für nicht besonders tragfähig. Trotzdem habe ich aber gerne mit Ross darüber nachgedacht, welche Pflichten ich vielleicht doch mir und anderen gegenüber habe. Dabei möchte ich loben, dass Ross sich doch zumeist verständlich auszudrücken weiß.

Jürgen Czogalla, 25.07.2020

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