Philosophisch-ethische Rezensionen
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Sarah Spiekermann, Digitale Ethik. Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert, München 2019Der Autorin geht es darum Wege für einen menschengerechten Fortschritt im
digitalen Zeitalter aufzuzeigen. Ziel ist es die neuen digitalen Techniken für ein gutes Leben nutzbar zu machen, bei
dem Geld nur eine Randbedingung ist. Einem Leben mit positiven Werten soll zur Entfaltung geholfen, Wertvernichtung
oder das Füttern negativer Werte soll vermieden werden. Wir sollen mit der Digitalisierung weise umgehen und dies
erfordert nach Meinung der Autorin erst einmal als Voraussetzung ein positives Menschenbild. Das Handeln jedes
Einzelnen soll sich an Werten orientieren. Dadurch leistet dann auch jeder seinen Beitrag zu einer
gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung. Dem gegenstrebige Kräfte sieht sie in der Wahnidee, dass Neues immer schon
gleich gut ist, die Bereitschaft bestehende Werte zu zerstören, das naive Vertrauen in Maschinen, ein schlechtes
Menschenbild, gewinnsüchtige Kapitalmärkte und unser mangelndes Verständnis der Wertewelt. Um positiv voranzukommen
schlägt sie drei Schritte vor: 1. Echtes Wertebewusstsein entwickeln: Hier gilt es sich klar zu machen welches die
positiven Wertziele für uns selbst, unsere Familien und Firmen etc. sind und sich Gedanken zu machen, welche Gefahren
dafür bestehen, dass wir durch unser Handeln positive Werte zerstören und negative fördern. Dazu ist es nötig, die
Welt, in der man lebt, einfühlsam zu betrachten und auf sich wirken zu lassen, um anziehende positive Werte von
abstoßenden negativen Werten unterscheiden zu können. Daraus kann man dann eigene Werteprioritäten ziehen, die einem
selbst und der Gemeinschaft, in der man lebt, guttun. Dabei geht es aber nicht um reine artifizielle, gewaltsame
Formung, sondern Entfaltung auf das hin zu was es den Menschen von sich aus nach Meinung der Autorin schon immer
hindrängt. 2. Werteprioritäten besser verstehen: Ein tieferes Verständnis von Werten im digitalen Zeitalter ist
elementar, um wertvolle Ziele zu erreichen. Nur wenn wir etwa wissen, was Freundschaft ist, können wir das rechte Maß
für die Intensität an digitalem Austausch mit Freunden finden und erkennen, wann das Digitale besser abgeschaltet
werden sollte oder vielleicht gar nicht mehr das richtige Medium ist. 3. Praktische Entfaltung in privaten
Gewohnheiten, Technik und Politik: Wichtig ist hier der Autorin eine Kunst des Maßhaltens und der goldenen Mitte, als
auch der Aneignung von Disziplin, Ritualen und Rhythmen, um die eigenen Werteprioritäten zu leben, was im Umgang mit
dem Digitalen nicht leicht ist, weil alles sofort und zeitgleich auf uns zugreifen will. Von der technischen Seite
her sollten etwa werteorientierte Einstellungsoptionen
(Ethics by Design) bereitgestellt
werden. Ja es sollte Teil der Unternehmenskultur sein die Wertfolgen einer Digitalisierungsstrategie zu bedenken und die
technisch-organisatorischen Maßnahmen zu ergreifen, um Wertvernichtung zu verhindern und positive Werte zu schaffen.
Das würde für die Autorin etwa bedeuten die Geschwindigkeit des Netzes bewusst zu verringern und digitale Nachrichten
nur noch zu rhythmisch planbaren Zeiten zuzustellen, vom Push-Modell in der Kommunikation Abstand zu nehmen, Roboter
und KI nicht menschenähnlich zu gestalten und für uns entscheiden zu lassen. Insgesamt eine Abkehr von ökonomischer
Rationalität hin zu einem wertvollen Denken, eine gigantische Umorientierung, wie die Autorin vermerkt.
Das Buch beginnt mit einem kurzen Kapitel der Autorin über ihre Silikon Valley Berufserfahrung bei High Tech Unternehmen in der Führungsetage und was sie an ihrem Weg irre werden ließ und sie in die Universitätswissenschaft mit dem Thema digitale Ethik trieb (sie ist Professorin für Wirtschaftsinformatik an der Wirtschaftsuniversität Wien). Von ihrer ethischen Denkweise her ist sie ausdrücklich Max Schelers materialen Werteethik verpflichtet, was schon nach ein paar Seiten des Buches klar wird. Sie geht davon aus, dass Werte klar fühlbare Phänomene sind, sie sind unabhängige, geistig erlebte Einheiten in der Welt und in unserem Leben omnipräsent. Es ist nach Meinung der Autorin eine Ethik der menschlichen Intuition und Vertrauens in menschliche Gefühle. Werte haben wir nicht, sondern sie bestehen unabhängig von uns und sie ziehen uns an. Dieser ethische Ansatz überzeugt mich in dieser Überspitztheit nicht und ich finde ihn etwas obskur, aber dennoch lohnt es sich das Buch zu Ende zu lesen und es deswegen nicht schon nach den ersten Seiten für immer abzulegen. Auch meine ich, dass die Gedanken der Autorin nicht unbedingt diesen sehr starken Bezug auf Schelers Werteethik brauchen und es wird späterhin auch nicht immer wieder darauf insistiert. Es ist nämlich legitim, sich für das, was einem wichtig und wertvoll erscheint zu werben, auch dann, wenn Werten keine von uns sozusagen getrennte, eigenständige objektive Realität zukommt. Und mit guten und sympathischen Argumenten für das, was für sie wichtig ist, wirbt die Autorin und sie bewegt sich damit in einem Wertekreis, der attraktiv und auch nicht fremd ist. |