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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

G.E.M. Anscombe, Drei Thesen zur Moralphilosophie der Moderne

In ihrem 1958 erschienen Aufsatz „Die Moralphilosophie der Moderne“ stellt Anscombe folgende drei Thesen auf:

1. Es ist derzeit zwecklos Moralphilosophie zu betreiben, denn dazu bedürfe es als Grundlage zunächst einmal eine überzeugende Philosophie der Psychologie. Wir brauchen eine Theorie der menschlichen Natur, des menschlichen Handelns, eine Theorie darüber, was für eine Art Eigenschaft eigentlich die Tugend ist und vor allem eine Theorie menschlichen Gedeihens.

2. Wir sollten Begriffe wie „Verpflichtung“ und „Pflicht“ im Sinne einer moralischen Verpflichtung nicht mehr verwenden, genauso wie die Begriffe des moralisch Richtigen und Falschen und genauso wie den Begriff des moralischen Sollens. Denn diese Begriffe entstammen nach Anscombe ethischen Theorien, die nicht mehr als selbstverständliche Grundlage gelten und die losgelöst von ihnen nur für Verwirrung sorgen. Die Begriffe „Pflicht“ und „sollen“ waren Teil einer Gesetzesethik, die als von Gott gegeben verstanden wurde. Wer aber die Vorstellung eines göttlichen Gesetzgebers ablehnt und versucht trotzdem die Gesetzesethik beizubehalten müsste sich nach einer anderen Grundlage umsehen, wie etwa gesellschaftlichen Normen, sich selbst ein Gesetz geben, sich selbst Regeln aufstellen, das Universum mit seinen Naturgesetzen als neuen Gesetzgeber einzusetzen oder die Pflicht auf einen Vertrag zu gründen. Diese Strategien weist Anscombe begründet als unzureichend und verfehlt zurück. Erfolgversprechender erscheint ihr die Idee die Tugenden als Normen zu verwenden. Allerdings hätte eine solche Norm ihrer Meinung nach auch nichts mehr mit Gesetz im obigen Sinne zu tun, eine solche Ethik rückt vielmehr in die Nähe der Aristotelischen Ethik, die keine Gesetzesethik ist.

3. Die Ansichten aller namhaften englischen Moralphilosophen seit Sidgwick unterscheiden sich nur unwesentlich. Wenn wir etwas benötigen und es nur bekommen können, wenn wir auf eine bestimmte Weise handeln, dann kann dies nach Meinung dieser Moralphilosophen Ausdruck von Tugend sein. Ihnen gilt es als offene Frage ob es beispielsweise in bestimmten Situationen richtig sein kann gerichtlich Unschuldige zu verurteilen. Sie suggerieren, dass man sogar in seiner moralischen Bildung voranschreiten würde, wenn man ein Moralprinzip findet, sofern die Handlung mit den eigenen Zielen übereinstimmt, nach dem man so handeln soll. Anscombe lehnt das ab, es sei immer falsch, Unschuldige gerichtlich zu verurteilen. Für sie ist ein guter Mensch ein gerechter Mensch und ein gerechter Mensch ein solcher, dem es zur Gewohnheit geworden ist ungerechte Handlungen abzulehnen, auch wenn er deswegen schlechte Folgen befürchten muss. Jemanden, der von Vorhinein meint, es sei eine offene Frage, ob man einen Unschuldigen nicht auch mal gerichtlich verurteilen sollte, bescheinigt sie eine verdorbene praktische Vernunft. Eine Diskussion mit so Jemanden würde sie deswegen abbrechen.

Jürgen Czogalla

10.09.2016