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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Wilhelm Vossenkuhl, Die Möglichkeit des Guten. Ethik im 21. Jahrhundert, München 2006

Für Vossenkuhl geht es in der Ethik letztlich um die Frage, was das gute Leben eigentlich ausmacht und wie es sich verwirklichen lässt. Damit eng verflochten ist für ihn die Frage nach der guten Gemeinschaft, dem guten Staat in dem der Einzelne lebt und ohne den er letztlich kein gutes Leben führen kann. Wenn Vossenkuhl nach dem guten Leben sucht, dann schaut er zunächst auf die Sitte, den moralischen Tatsachen, der moralischen Normalität. Erst wenn die Dinge durch veränderte Umstände nicht mehr recht zusammenpassen wollen und die Normalmoral sich an Realitäten reibt, fängt ethisches Fragen und Begründen eigentlich an. Vossenkuhl hält eine absolut autonome ethische Vernunft übrigens für eine Art Mythos, denn er ist der Meinung, dass in unsere moralischen Überzeugungen immer wieder etwas von dem einfließt, was wir im Laufe unseres Lebens anderen zu verdanken und in unsere Persönlichkeit dann integriert haben. Ja, ethische Probleme lassen sich gar nicht lösen, wenn die Wertvorstellungen der einzelnen Parteien ganz unterschiedlich sind. Denn letztlich sind unsere moralischen Grundüberzeugungen gar nicht mehr begründbar, eine Letztbegründung gibt es nicht. Eine Ethik die wirklich allgemeingültig ist, kann es darum auch nicht geben, sein ethischer Vorschlag begrenzt sich bewusst auf unseren westlichen Wertekreis und setzt eine freiheitliche, parlamentarische Demokratie mit den dazugehörigen freiheitlichen Werten und den Menschenrechten voraus. Ethische Konflikte löst Vossenkuhl - mit dem Hintergrund unseres Kulturkreises - aufgrund der Wertigkeit eines Gutes (ob es z.B. ein teilbares, unteilbares, verzichtbares oder unverzichtbares Gut ist), den Bedarf und in wieweit sich die Verteilung von Gütern auf die Gesamtheit des guten Lebens auswirken würde. Dafür entwickelt Vossenkuhl seine "Maximenmethode". Zum einen wird ein normativer Anspruch dann verändert, wenn er zu einer Güterverteilung führen würde, die nicht anerkannt werden kann (Knappheitsmaxime), zum anderen wird eine quantitative Güterverteilung verändert, wenn sie normative Ansprüche verletzt (Normenmaxime) und zum dritten wird verhindert, dass durch moralische Ansprüche und Güterverteilung keine unverzichtbaren Werte oder das Wertgefüge der Güter insgesamt gefährdet wird (Integrationsmaxime). Das Problem, wie die materiellen und nicht-materiellen, die normativen und nicht-normativen Güter miteinander verflochten sind und wie eine Integration der unverzichtbaren, knappen Güter in ein Ganzes gelingen kann, bezeichnet Vossenkuhl als das Grundproblem der Ethik.

Um es vorweg zu sagen: Ich habe das Buch gerne gelesen, aber richtig überzeugt hat mich der Autor nicht immer. Dass eine gemeinsame ethische Basis für alle gar nicht möglich sein soll, ist doch im Grunde ein ziemlich niederschmetterndes Ergebnis und führt dann dazu, dass jeder Kulturkreis im Grunde seine eigene Spezialethik braucht. Andererseits meint aber Vossenkuhl z.B. die Beschneidung von Frauen allgemeingültig als eine schlechte Sitte verurteilen zu können - allerdings eben nur mit dem Hinweis auf Menschenrechte von denen er annimmt, dass sie allgemein akzeptiert sind und die er als höherwertig annimmt als landesspezifische, weniger wertige (in diesem Fall wohl besser unwertige) Bräuche. Ein Grund mag vor allem darin liegen, dass für ihn Ethik und gutes Leben zusammengehören. Moralisches Handeln ohne die rechte materielle Basis hält er z.B. für kaum möglich. Aber sollte es nicht doch so sein? Ist es z.B. wirklich unabdingbar, dass man in einem Wohlstandstaat mit freiheitlicher Demokratie leben muss um wirklich ethisch Handeln zu können? Wahrscheinlich ist ein gutes Leben dann nicht möglich, aber die Möglichkeit des moralischen Handelns besteht doch weiter und ist auch eine der Voraussetzungen um Verhältnisse positiv ändern zu können.

Jürgen Czogalla, 02.05.2010

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