Philosophisch-ethische Rezensionen
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Barbara Bleisch, Mitte des Lebens. Eine Philosophie der besten Jahre, München 2024Die Mitte des Lebens verortet Bleisch so in etwa zwischen dem 40. und 65.
Lebensjahr. Sie möchte diese Lebensmitte sozusagen philosophisch durchdringen und sie wundert sich, dass sich so wenige
Philosophen mit dieser Lebensphase beschäftigen. Sie will ausloten, worin ihre spezifische Qualität besteht und wie es
gelingen kann aus der Fülle dieser reichen Jahre zu schöpfen. Dabei versteht sie aber ihr Buch nicht als Ratgeberbuch,
sondern es bietet eine Art von Landkarte für diese Zeit, die Wege und Topografie zeigt, aber dem Wanderer nicht abnehmen
kann, den Weg im Gelände selbst zu finden und zu gehen, und zwar jeder für sich. Sie versteht daher ihr Buch eher als
Beratungsbuch. Sie schlägt keine Lösungen vor, sondern versucht, diese Zeit verständlich zu machen. Für sie eine Zeit
die oft düster und verworren dargestellt wird, die sie selbst aber als potentiell beste Zeit unseres Lebens versteht.
Die Frage nach dem guten Leben, danach, wie wie unsere begrenzte Lebenszeit am besten verbringen können, spitzt sich ihrer Meinung nach in dieser Lebensphase besonders zu: Es ist oft die Zeit der Bilanzierung, in denen sich für die einen erfüllt hat, was sie sich erhofften und für andere eben nicht. Insofern ist die Mitte des Lebens für Bleisch auch besonders anfällig für Bedauern und Reue. Sie meint dann, dass selbst wenn einem alles geglückt scheint, sich in dieser Zeit ein Gefühl der Leere einstellen kann. Denn was kann jetzt noch kommen? Ziele ereignen sich immer weniger und müssen jetzt selbstständig festgelegt werden, soll sich nicht gähnende Langeweile einstellen. Sie will aber nicht nur die Krisenanfälligkeit dieser Lebensphase ergründen, sondern sie will auch verstehen, warum sie ihrer Meinung nach eine Phase der reichen Fülle ist. Wie ist nun ihrer Meinung nach mit den innigen Träumen, bitteren Enttäuschungen und großen Hoffnungen umzugehen. Weitermachen oder nochmals aufbrechen? Gehen oder bleiben? Sie versucht in ihrem Buch diese Krise auszuloten, sie spricht die erschreckende Einsicht an, wie wenig Lebenszeit noch bleibt, wenn man mal die 40 erreicht hat, über das tiefe Bedauern, dass sich jetzt einstellen kann, den eigenen Weg nicht entschlossener und mutiger gegangen zu sein, oder das Gefühl, alles erreicht zu haben und sich zu langweilen. Und zugleich spricht sie die Chancen an, die sich dadurch ergeben, dass man lebenserprobter geworden ist, sich selbst jetzt viel besser kennt und besser weiß, was einem eigentlich wichtig ist. Bleisch hat sicher ein kluges und auch interessantes Buch geschrieben, mit vielen durchaus bemerkenswerten und hilfreichen Einsichten, wobei sie aus einem reichen philosophischen Fundus schöpfen kann, denn immer wieder werden Philosophen mit ihren Ansichten zu diesem Thema zur Sprache gebracht oder auch mal das Thema beleuchtende andere Literatur herangezogen, wie z.B. Romane. Trotzdem kann ich persönlich das Buch nicht wirklich uneingeschränkt empfehlen. Es will ja offensichtlich ein großes Publikum erreichen, aber ihm fehlt meiner Meinung nach dazu noch ein gewisser Pep und Charme. Außerdem ist es meinem Empfinden nach auch etwas zu lange geraten, denn die Wiederholungen werden, je länger man das Buch liest, um so aufdringlicher. Nichtsdestotrotz gibt es immer mal wieder auch schöne poetische Passagen. Wer außerdem meint, Bleisch würde das Thema nutzen, um vielleicht viele Beispiele aus ihrem eigenen Leben zum Besten zu geben, also womöglich detaillierter sich mit ihrer eigenen Biografie hier einzubringen, wird enttäuscht, wenn sie auch tatsächlich hin und und wieder sehr dezent über ihr eigenes Leben spricht, ohne dabei aber wirklich viel persönliches preiszugeben. Das muss ja auch keine schlechte Entscheidung sein, aber, um es einmal salopp zu sagen, als philosophische Rampensau präsentiert sie sich hier nicht, auch wenn sie natürlich ansonsten u.a. schon seit Jahren eine versierte, ausgezeichnete und wirklich auch sympathische Moderatorin einer renommierten philosophischen Sendung im Schweizer Fernsehen ist. Jürgen Czogalla, 15.09.2024 |