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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Nick Bostrom, Die Zukunft der Menschheit. Aufsätze, Berlin 2018

Wussten Sie, dass es mehr akademische Aufsätze (absteigend in dieser Reihenfolge) über Mistkäfer, Star Trek und Zinkoxolat gibt als über zukünftige existentielle Risiken der Menschheit? Dabei versteht der Autor unter existentiellen Risiken die vorzeitige Auslöschung des intelligenten Lebens auf der Erde oder dass dessen Entwicklungspotential permanent und drastisch beschnitten wird.

Das dünne Büchlein mit dem umfangreichen Anmerkungsapparat besteht aus sechs kleinen Aufsätzen:

1. Die Zukunft der Menschheit
Hier skizziert Bostrom unter anderem vier Arten von menschlicher Zukunft: Untergang, zyklischer Kollaps, Plateau und Posthumanität. Zum Thema Untergang nennt der Autor als schwerwiegendste existentielle Risiken unserer Zeit technologische Entwicklungen mit weltzerstörrerischem Potential (Biotechnologie, molekulare Nanotechnologie, superintelligente Maschinen). Unter Untergangszenario wird hier ein Ereignis verstanden, nach dem es für den Menschen kein Comeback mehr gibt. Ein bloßer möglicher Kollaps der Menschheit wird vom Autor in Klassen unterteilt. Lokal: Zusammenbruch einzelner Gesellschaften, was aber keinen entscheidenden Einfluss auf die Zukunft der Menschheit als Ganzes hat. Existentiell: Der Zusammenbruch ist weltweit und verhindert, dass es jemals wieder eine fortgeschrittene Zukunft gibt. Ewiger Kreislauf (zyklisch): Auf weltweiten Kollaps kommt Erholung und ab einem bestimmten technologischen Level erfolgt der nächste Kollaps und so fort. Unter Plateau versteht der Autor einen Zustand, bei dem es ab einem bestimmten zivilisatorisch-technischen Level einfach nicht mehr weitergeht und es auf hohem Niveau zu einem Entwicklungsstillstand kommt. Posthumanität wird hier nie erreicht. Der nächste große Sprung der Menschheit wäre für den Autor die Posthumanität, die eingeläutet ist, wenn mindestens eines der folgenden Merkmale eingetreten wäre: Bevölkerung > 1 Billion Personen; Lebenserwartung > 500 Jahre; kognitive Fähigkeiten der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung mehr als 2 Standardabweichungen über dem derzeitigem menschlichem Maximum; die Mehrheit der Bevölkerung hat meistens die vollständige Kontrolle über ihre Sinneswahrnehmung; kaum noch psychisches menschliches Leid; jede andere Veränderung mit vergleichbarem Ausmaß oder Tiefgang. Für alle Szenarien wird die jeweilige Wahrscheinlichkeit diskutiert.

2. Die Vermeidung existentieller Risiken als globale Priorität
Der Autor klärt den Begriff des existentiellen Risikos und stellt eine verbesserte Klassifikation vor (hier sind die Klassen Untergang der Menschheit, dauerhafte Stagnation, mangelhafte Realisierung und nachträglicher Ruin). Außerdem zeigt er wie die Reduktion existentieller Risiken einem Utilitaristen als starkes handlungsanleitendes Prinzip dienen kann.

3. Plädoyer für eine posthumane Würde
Hier setzt sich der Autor mit Grundgedanken des Biokonservatismus auseinander, der behauptet, dass Enhancement-Technologien die menschliche Würde untergraben. Der posthumane Zustand wäre für sie entwürdigend. Der Autor stellt die Kritik detailliert dar, antwortet aber begründet, dass er der Meinung ist, dass menschliche und posthumane Würde vereinbar sind.

4. Würde und Enhancement
Bostrom argumentiert dafür, dass sich Würde und Enhancement nicht nur nicht ausschließen, sondern dass durch Enhancement viele Formen der Würde, die derzeit vernachlässigt oder ganz übersehen werden, besser wertgeschätzt und allererst gesichert werden.

5. Warum ich posthuman werden will, wenn ich groß bin
Hier diskutiert Bostrom mögliche Vorteile einer Entwicklung der Menschheit zur Posthumanität und geht auf Gegenargumente ein. Dabei versteht er unter einem posthumanen Wesen jemanden, der mindestens eine der folgenden Eigenschaften in einem Maße besitzt, das ohne technologische Hilfsmittel nicht erreichbar ist: Gesundheitserwartung – Fähigkeit geistig und körperlich vollkommen aktiv, gesund und produktiv zu bleiben. Kognition – allgemeine intellektuelle Fähigkeiten, aber auch Fähigkeit Musik, Humor, Spiritualität und Mathematik zu verstehen. Emotion – Fähigkeit, das Leben zu genießen und affektiv angemessen zu reagieren. Der Autor argumentiert, dass es prinzipiell gut ist, die drei genannten Eigenschaften in einem das heute menschliche Maß weit übertreffenden posthumanen Qualität zu besitzen. Er meint, dass dies nicht notwendig mit einem Verlust der Identität, der Verpflichtungen und Verminderung der Lebensweise einhergehen muss. Er stellt mögliche Einwände und treffende Erwiderungen in einem Kapitelchen nochmal kurz und übersichtlich dar. Der Autor würde sehr gerne posthuman werden.

6. Leben wir in einer Computersimulation?
Der kürzeste Aufsatz. Der Autor argumentiert, dass wenigstens eine der folgenden Aussagen zutrifft: 1. Die Menschheit stirbt sehr wahrscheinlich aus, bevor sie ein posthumanes Level erreicht. 2. Sehr wahrscheinlich wird keine posthumane Zivilisation eine größere Zahl von Simulationen ihrer eigenen evolutionären Geschichte durchführen. 3. Wir leben so gut wie sicher in einer Computersimulation.

Zurecht verweist der Autor darauf, dass hier Themen besprochen werden, die bisher eher Stammgebiet der Theologie gewesen sind, gefasst unter dem Thema Eschatologie. Da geht es um die letzten Tage der Menschheit, einem Endgericht und der folgenden endgültigen Verklärung des Kosmos. Auch hier geht es um das Ende der bisherigen menschlichen Geschichte. Was darf es sein: Untergang, Stagnation oder der Sprung in die Posthumanität? Das alles ist schon noch ein bisschen Sci-Fi, aber die Einschläge kommen sozusagen immer näher, die Menschheit entwickelt sich rasant. Also tatsächlich Zeit für die Philosophie sich dieser Themen anzunehmen. Und das macht Bostrom unterhaltsam, nicht langatmig und zumeist auch gut verständlich. Abgesehen mal vom letzten Aufsatz in dem er sozusagen auch mit Wahrscheinlichkeitsgleichungen auftrumpft, da wird’s dann etwas haarig.

Ich wurde gut, spannend und informativ unterhalten.

Jürgen Czogalla, 23.02.2019

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