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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

David J. Chalmers, Realität+. Virtuelle Welten und die Probleme der Philosophie, Berlin 2023

Die zentralen Thesen von Chalmers lauten, dass virtuelle Welten keine Illusionen oder Fiktionen sind oder sie müssen es zumindest nicht sein, dass Leben in virtuellen Welten im Prinzip ganz genauso gut sein kann wie in der realen Welt (man kann dort also ein sinnvolles Leben führen) und dass die Welt, in der wir leben, eine virtuelle Welt sein könnte. Er selbst bezeichnet sein Buch als ein Projekt der Technikphilosophie, die Technik auch anwendet, um traditionelle philosophische Fragen zu beantworten. Er benutzt also die Technik, um zum Teil ganz alt-ehrwürdige philosophische Fragen neu anzugehen, wie zum Beispiel Descartes Problem der Außenwelt, also die Frage, wie wir erkennen können, dass unsere Außenwelt keine Illusion ist. Indem er die Frage stellt, woher wir wissen, dass wir in keiner Simulation leben, schärft er das Problem zusätzlich, indem er das weit hergeholte Szenario eines bösen Dämons durch ein realistischeres Szenario ersetzt. Er argumentiert dann, dass wenn wir uns tatsächlich in einer Simulation befinden, Tische und Stühle trotzdem keine Illusionen, sondern vollkommen reale Gegenstände sind. Von daher ergibt sich ein Ansatz, Descartes klassisches Problem zu beantworten. Wir haben also auch dann Wissen über die uns umgebende Realität, wenn wir nur virtuell existieren. Technik wird dann auch angewandt, um traditionelle Fragen zum Geist zu beleuchten und über das Bewusstsein. Und mit diesem Hintergrund werden auch Fragen des guten Lebens, der Ethik und der gesellschaftlichen Organisation, aber auch die Fragen nach der Existenz Gottes, woraus das Universum besteht, beschreibt die Sprache die Wirklichkeit oder was sagt die Wissenschaft über die Realität, angegangen. Das Nachdenken über die Technik erhellt also diese Fragen. Zentral sind natürlich hier die Fragen nach Wissen und Realität, aber es werden auch weitere interessante Fragen aus dem Bereich Augmented Reality und Virtualität angesprochen. Die klassische Frage, ob unsere Wirklichkeit vielleicht nur ein Traum ist, wird technisch angewendet mit der Frage, ob wir wissen können, ob wir uns in einer virtuellen Welt befinden oder nicht angegangen, dasselbe mit der Realitätsfrage, technisch angewendet mit "Sind virtuelle Welten real oder Illusionen?", und die Wertfrage, technisch angewendet mit "Kann man in der virtuellen Welt ein gutes Leben führen?". Es geht also um eine Beleuchtung der Fragen "Können wir irgendetwas über die uns umgebende Welt wissen? Ist unsere Welt real oder eine Illusion?" und "Was heißt es ein gutes Leben zu führen?" mittels der Technik.

Ich kann hier nur bestätigen, was auch andere Rezensenten schon angemerkt habe, ein wirklich wildes Buch, das auch nicht davor zurückschreckt, darüber zu philosophieren, wie wir unseren Geist am besten in eine virtuelle Welt uploaden sollten (wenn dies technisch machbar wäre), und dabei doch wir selbst zu bleiben und uns dadurch in die virtuelle Unsterblichkeit zu überführen. Oder haben sie schon einmal darüber nachgedacht, dass wir in einer Simulation leben könnten, die irgendwo auf einem Rechner eines pubertierenden Jugendlichen läuft, der dann so etwas wie unsere lokale Gottheit wäre? Also wilde, überbordende, aber auch genuin philosophische Gedanken, tiefsinnig und klug vorgebracht, mit Argumenten, die auch der Laie zumeist nachvollziehen können sollte. Also wirklich Philosophie, es geht hier um die wirklich großen Fragen, die allgemein von Interesse sind. Und er analysiert sie auf originelle Weise, indem er auch über weitere technische Entwicklungen spekuliert. Also spannendes philosophisches Science Fiction, von wirklicher Relevanz für unser Leben, das um Zustimmung wirbt. Allerdings bei mir mit nicht ganz durchschlagendem Erfolg. Ganz klare und eindeutige Leseempfehlung. Chalmers ist ein ausgezeichneter, spannender Erzähler und philosophischer Führer.

Jürgen Czogalla, 04.11.2023

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