Philosophisch-ethische Rezensionen
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Klaus Dörre, Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution, Berlin 2021Auf die Frage ob es heute wirklich noch Sinn macht den Sozialismus, nunmehr
als ökologischen, demokratisch-nachhaltigen, wiederzubeleben antwortet der Autor in diesem Buch mit einem klaren ja.
Er möchte dem Leser den Sozialismus wieder als attraktive Utopie schmackhaft machen um dann wieder gesellschaftlich und
politische Wirkung erzielen zu können. Sein Buch bezeichnet er selbst als Essay. Er analysiert, dass sich in der globalen
Finanz- und Wirtschaftskrise zwei langfristige Entwicklungslinien kreuzen: Einerseits rasches und permanentes
Wirtschaftswachstum und beschleunigter Energie- und Ressourcenverbrauch, steigende Emissionen andererseits. Es droht
ein irreversible Destabilisierung globaler Ökosysteme. Das wichtigste Mittel zur Überwindung ökonomischer Stagnation
und zur Beruhigung interner Konflikte im Kapitalismus, nämlich das Wirtschaftswachstum nach den Kriterien des
Bruttoinlandproduktes, wirkt zunehmend ökologisch desaströs und gesellschaftszerstörend. Gegenwärtig sehen wir uns, so
der Autor, einer epochalen Krise der Gesellschafts-Natur-Beziehungen gegenüber, die mit einem Übergang in ein neues
Zeitalter, dem Anthropozän, verbunden ist. Die Krise wird überwunden, wenn es gelingt, einen Natur-Gesellschafts-Metabolismus
zu etablieren der die Reproduktionsfähigkeit der Netzwerke menschlichen und außermenschlichen Lebens sicher stellt, so
der Autor. Gelingt dies nicht droht der Untergang der Menschheit. Weil die Störungen des Erdmetabolismus in der Gegenwart
ausschließlich vom Kapitalismus ausgehen hält er auch die Bezeichnung Kapitalozän für unser Zeitalter als treffend.
Dadurch sieht er den Zusammenbruch jener Strategien und Verhältnisse heraufkommen, die in den letzten fünf Jahrhunderten
die Kapitalakkumulation aufrecht erhalten haben. Es bahnt sich für ihn also ein Bruch in der Geschichte der Zivilisation an.
Er stellt dann das elementare Dreieck gesellschaftlicher Nachhaltigkeit vor, besehend aus: gemeinsame Nutzung der Natur,
was private Inbesitznahme natürlicher Ressourcen ausschließt; eine rationale Regulierung des Erdmetabolismus durch frei
assoziierte Produzenten, die sich an sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit orientieren; eine Befriedigung gemeinschaftlicher
Bedürfnisse, die auch die Bedürfnisse zukünftiger Generationen mitberücksichtigt. Dabei will sich der Autor auf die
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Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen als normative Grundlage stützen. Sein Gegenentwurf zum Kapitalismus beinhaltet
des weiteren folgende Elemente: transformative Rechtsverhältnisse, die Nachhaltigkeitszielen einen Verfassungsrang
einräumen; kollektives Selbsteigentum an und in großen Unternehmen; kooperative Marktwirtschaft mit kleineren Unternehmen;
die Eckpfeiler von Wirtschaftsdemokratie; Produktionsweisen mit langlebigen Gütern; ein neue Verhältnis von Markt und Plan,
sowie Nachhaltigkeits- und Transformationsräte als Innovationen im politischen System. Im Unterschied zum Kapitalismus
geht es nicht mehr primär um Gewinnstreben, sondern an dessen Stelle tritt Hinwendung zu sozialen Bedürfnissen, Kooperation,
kollektives Lernen und solidarische Sozialbeziehungen, was zum allgemeinen Habitus werden soll, so wünscht es sich der
Autor. Der Kapitalismus ist für ihn in seiner gegenwärtigen Form ein strukturell expansives und deshalb marodes
Gesellschaftssystem. An seine Stelle soll ein demokratischer, ökologisch und sozial gerechter Sozialismus treten.
Wer ganz neu in die Welt des Sozialismus mit diesem Buch einsteigen will, der kommt sich wohl ein bisschen so vor wie ein Atheist der zum ersten Mal theologische Literatur liest. Hier geht es um Analyse von gesellschaftlich-wirtschaftlichen Bewegungen nach bestimmten zu glaubenden Mustern mit einer ausgeprägten Spezialbegrifflichkeit und einer engen Verbundenheit an die Glaubensväter Marx und Engels, die auch immer wieder zitiert werden. Allerdings werden deren Ansätze aufgrund geschichtlicher Erfahrungen (Ausbleiben des Erfolgs des Sozialismus) und dem was der Autor unsere moderne Zangenkrise nennt (um sich zu stabilisieren braucht der Kapitalismus stetiges Wachstum, dass letztlich zu ökologischen Katastrophe führt und seine eigenen Grundlagen zerstört) weiterentwickelt. Dabei versucht er für mich kurioserweise etwa die Vorzüge einer computerunterstützten, demokratisch hergestellten sozialistischen Planwirtschaft gegenüber der zerstörerischen und maroden Marktwirtschaft herauszustellen. Der Kuriositäten sind für mich viele. Seine Argumente sucht er immer wieder mit Zitaten aus Forschungen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik weiter zu belegen, es ist also, wenn man so will, nicht einfach platte Ideologie. In seinen Analysen findet sich also tatsächlich die große Krise unserer Zeit, die gegenwärtig drohende ökologische Katastrophe, wieder. Nur wer möchte sein Lösungspaket annehmen? |