Philosophisch-ethische Rezensionen
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Dagmar Fenner, Selbstoptimierung und Enhancement. Ein ethischer Grundriss, Tübingen 2019Das Streben nach Selbstoptimierung ist ein gegenwärtig bedeutsamer Trend
in modernen Gesellschaften. Erwartet wird hier immer mehr, dass der Einzelne in Selbstverantwortung möglichst viel aus
seinem Leben herausholt. Traditionelle Optimierungsmöglichkeiten sind hier zum Beispiel das Ergreifen von Bildungsangeboten
um technisches, kulturelles und psychologisches Wissen zu erweitern und auf die eigenen Lebensziele hin verwenden zu können.
Den Körper kann man durch Kosmetik oder sportliche Übungen in Schuss bringen. Die Autorin befasst sich in diesem Buch
aber insbesondere mit Optimierungsmaßnahmen technologischer Art (Enhancement), wobei sie die Möglichkeiten einer medizinischen,
biochemischen, genetischen und neurologischen technologischen Optimierung erläutert und zu den jeweiligen Maßnahmen einen
ethischen Diskurs anstößt, indem sie verschiedene Argumentationsfiguren vorstellt ohne den Diskurs jetzt einfach abschließend
zu beenden. Sie eröffnet ein weites Feld, steckt aber zugleich einen Weg ab, indem sie manche Argumente als unplausibel
zurückweist oder verbessert. In einem Einführungskapitel erklärt sie zunächst grundlegende Begriffe und analysiert, was
Selbstoptimierung in unserer heutigen Kultur bedeutet. Dann erarbeitet sie normative Bezugsgrößen, die sozusagen mögliche
Leitbojen sein können für eine Beurteilung eines Enhancements: Glück oder gutes Leben, Gerechtigkeit, Freiheit und Würde
und Normalität und Natur. Danach bespricht sie in Einzelkapiteln recht ausführlich körperliches Enhancement (Schönheits-OPS,
Unsterblichkeit, digitale Selbstvermessung und Doping im Sport), Neuro-Enhancement (emotionales Enhancement, kognitives
Enhancement und moralisches Neuro-Enhancement) und
genetisches Enhancement. Vorgestellt werden jeweils Pro und Kontra-Argumente,
ohne dass die Autorin den Diskurs sozusagen mit einer besonderen, eigenen Argumentationslinie abschließen und beenden will.
Die derzeitigen Enhancement-Möglichkeiten, die oft weit überschätzt werden, werden dabei erläutert, aber auch visionäre
Enhancement-Zielvorstellungen besprochen, auch wenn diese oft noch weit von einer Realisierbarkeit entfernt, also noch
Science-Fiction sind.
Dagmar Fenner ist ein ausgezeichneter ethischer Grundriss zur Selbstoptimierung gelungen. Sie bleibt immer gut verständlich,
ohne dass die Darstellung seicht wird. Dabei ist das Buch wirklich sehr einsteigerfreundlich, philosophische Vorkenntnisse
braucht es gar keine, die Autorin beginnt in ihrer Darstellung wirklich bei Adam und Eva. Sie führt geschickt sonst in der Literatur
verstreute Argumentationsfiguren zusammen und lässt sie aufeinanderprallen, wobei sie immer wieder fachmännisch im Hintergrund
moderiert und selbst nicht zu aufdringlich in Erscheinung tritt. Wenn sie meint, dass etwas gar nicht geht, dann sagt sie dies
allerdings auch. Für in dem Thema schon etwas bewanderte Leser ist diese Einsteigerfreundlichkeit dann womöglich aber schon zwei
Ticken zu viel und sie mögen dann wohl eher die einführenden Kapitel überspringen.
Ein weiterer Nachteil an dem Aufbau des Buches ist, dass sich notwendigerweise doch Einiges in der Darstellung immer wieder wiederholt. Das Kontra-Argument etwa, es könne zu sozialen Verwerfungen führen, wenn sich die erwartbar sehr kostspieligen innovativen Enhancement-Maßnahmen zunächst nur sehr reiche Menschen leisten können, die dann einen weiteren, sehr erheblichen Wettbewerbsvorteil hätten, wodurch sich die Kluft zwischen arm und reich dramatisch vergrößern könnte bis hin zu diversen dystopischen Szenarien, wird sowohl im Bereich des körperlichen, als auch des Neuro-Enhancement und dem genetischen Enhancement leicht variiert immer wieder aufgegriffen. Das Thema und die Darstellung an sich sind aber spannend genug, sodass sich Ermüdungserscheinungen durch zahlreiche Wiederholungen bei mir doch sehr in Grenzen hielten. Insgesamt versachlicht das Buch das Thema und versucht so auch mögliche Diskursblockaden einzuebnen. Allerdings nicht verzeihen kann ich es, wenn das eigentliche Buch laut meiner E-Book Anzeige schon nach 62% endet und der restliche Teil aus Anhängen besteht. Das ist nicht mehr akzeptabel. Nachtrag 29.04.2020: Meine Kritik zum Verhältnis Anhangslänge und Gesamttext bezieht sich auf die Amazon Kindle Ausgabe zum Rezensionszeitpunkt. |