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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Svenja Flaßpöhler, Streiten, Berlin 2024

Die Autorin sieht sich nicht nur als streitbare Frau, die oft kontroverse Randpositionen vertritt, sondern wird auch tatsächlich weithin so in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Sie fragt sich in ihrem Buch warum sie eigentlich streitet und was Streiten eigentlich bedeutet. Dabei ist das Buch aber alles andere als ein arg theoretisches Traktat. Was sie theoretisch über das Streiten sagt passt zusammengefasst schon auf wenige Seiten. Aber sie erzählt viel aus ihrer Biographie, wie sich ihre Eltern auch körperlich gezofft haben oder wie es ihr beruflich und in der Öffentlichkeit so mit ihren streitbaren Positionen erging und wie sie selbst mit dem ganzen Streit-Stress umgeht. Dabei geht sie für dieses Thema auf die dafür üblichen Verdächtigen ein: U.a. Freud, Simmel und natürlich besonders der vernünftige Habermas mit seiner Diskurstheorie, die für sie ein bisschen eine Streitvermeidungstheorie ist, weil schlussendlich dort ihrer Meinung nach nur die miteinander diskutieren, die sich in den wirklich heiklen Punkten sowieso schon einig sind. Überspitzt formuliert sie, dass der Chef-Theoretiker der Frankfurter Schule, Habermas, sich wie ein Odysseus im Meer gefahrvoller Meinungen verhält, vor denen es die Bevölkerung zu schützen gilt. Affekte, so meint sie, lösen sich nicht in Luft auf, nur weil man sie selbst bei sich nicht sehen will.

Was das Streiten betrifft, so gilt es sich für Flaßpöhler erst einmal von der Illusion zu befreien, dass Streiten harmlos ist, denn der Abgrund der Vernichtung ist immer da. Streiten hat für sie mit einem Perspektivwechsel, einem Aus-Sich-Heraustreten nichts zu tun. Denn wer die Sicht wechselt und sich verstehend auf einen Konsens zubewegt, hat keinen Streit mehr, sondern führt einen Diskurs. Ein Streit ist für sie nie frei von Herrschaft, sondern es geht immer auch um Macht, gerade weil sich Streitende gerade nicht gegenseitig verstehen. Hier prallen für Flaßpöhler grundverschiedene Seinsweisen und Weltbilder aufeinander. Hier begreift man einfach nicht, wie der andere so denken kann, wie er denkt. Man hält es für so falsch, dass man es einfach nicht so stehen lassen kann. Dieses andere Denken muss also zu Fall gebracht werden. Um streiten zu können, so meint sie, muss ich jemandem ins Gesicht sagen können, dass er unrecht und ich recht habe. Voraussetzung für den Streit ist eine affektive Unmittelbarkeit, die Zweifel überhaupt nicht aufkommen lässt. Zum Streiten braucht es demnach eine aggressive Energie, die nötig ist, um sich zu behaupten. Nur durch Aggression kann Streit entstehen. Im Streit wird die Aggression dann in eine argumentative Waffe verwandelt, die dazu dient, den Kampf zu gewinnen.

Auf der letzten Seite ihres Buches schreibt sie, warum sie streitet. Sie streitet, um bleiben zu können. Denn nur, so meint sie, wir wir dem Streit erlauben, bis an die Substanz eines Verhältnisses zu gehen, kann es sich beweisen.

Flaßpöhler hat ein leicht zugängliches, unterhaltsames, kleines philosophisches Buch geschrieben, in dem sie den Mut hat sich und ihre Biographie einzubringen und sich so auch ein Stückweit verletzlich zu machen. Ich habe das Buch gerne gelesen.

Jürgen Czogalla, 08.12.2024

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