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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Markus Gabriel, Moralischer Fortschritt in dunklen Zeiten. Universale Werte für das 21. Jahrhundert, Berlin 2020

Nach Gabriel stecken wir in einer tiefen Wertekrise die von einer Verwirrung moralischer Grundbegriffe weiter angeheizt wird und die letztlich unsere Demokratie angreift, schwächt und bedroht. Die derzeitige stetig anwachsende Digitalisierung ist für ihn eine weitere umfassende, destruktive Macht die zu einer Destabilisierung liberalen Gedankenguts führen kann. Er spricht von einem Wettlauf um Daten, Lauschangriffe, gezielter Manipulation durch die großen Cyberkonzerne und Hackerangriffe aus dem Osten die z.B. gezielt Wahlen beeinflussen wollen. Er kritisiert desweiteren, dass zu viel Macht bei den Märkten, bei Profitgier und um sich greifenden Nationalismus liegt. Er spricht von den massiven Umweltrisiken, die wir durch unser Konsumverhalten und unsere globalen Produktionsketten auslösen. Ein besonderes Angriffsobjekt ist für ihn das Denken der Postmoderne.

Er möchte hingegen eine Kooperation der Natur-, Techno-, Sozial- und Geisteswissenschaften anstoßen mit dem Ziel eine nachhaltige Vision des Guten auszuarbeiten. Es gilt eine Gesellschaft aufzubauen, die von wechselseitigem Vertrauen geprägt ist. Ziel ist die aufgeklärte Gesellschaft die sich durch Selbststeuerung ihrer Mitglieder durch moralische Einsicht auszeichnet. Dabei ist er der Meinung, dass es moralische Tatsachen gibt, die allgemeine und alle Menschen betreffende Ansprüche erheben und uns Kriterien an die Hand geben, wie wir Handeln moralisch bewerten sollen. Wertvorstellungen kann man also seiner Meinung nach daraufhin einordnen ob sie zutreffen oder nicht, einfach in dem man sich an den moralischen Tatsachen orientiert, die wir erkennen können und deren Kernbestand offensichtlich ist und in unseren Zeiten aber systematisch durch schlechte Einflüsse verdunkelt wird. Prinzipiell unerkennbare Tatsachen gibt es für ihn nicht. Da die uns umgebende Wirklichkeit immer mehr darstellt als wir über sie wissen, bleiben uns allerdings immer einige moralische Tatsachen verborgen, bzw. darum können uns auch moralische Irrtümer unterlaufen. Das Gute ist für ihn universal geboten, unabhängig von Gruppenzugehörigkeit und geschichtlichem Zeitpunkt oder der Kultur. Das Böse ist dementsprechend universal verboten. Dagegen wird das Licht moralischer Erkenntnis seiner Meinung nach in unserer Zeit systematisch verdeckt, z.B. durch FakeNews, politische Manipulation, Propaganda und Ideologien. Die Art der neuen Aufklärung, die er betreibt, fasst er unter den Begriff des Neuen Moralischen Realismus. Sie fordert als oberstes Ziel die Idee des moralischen Fortschritts zu setzen und die Teilsysteme von Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft dementsprechend zu gestalten. Wie moralische Tatsachen systematisch verdeckt werden können, versucht er u.a. an der Geschichte der Sklaverei herauszuarbeiten. Letztlich geht es vor allem darum die nichtmoralischen Tatsachen mit den bisher bekannten moralischen Selbstverständlichkeiten ins richtige Verhältnis zu setzen. Gelingt dies so werden wir nach Gabriel teilweise verdeckte moralische Tatsachen entdecken und moralischen Fortschritt erzielen. Dazu passend setzt er sich für Philosophie als schulisches Pflichtfach ein, das man nicht als bloße Alternative etwa zum Religionsunterricht sehen sollte.

Gabriel zeigt sich außerdem als entschiedener Gegner des Rassismus und von Identitätspolitik aller couleur.

Das Buch besticht meiner meiner Meinung nach durch viel Gegenwartsbezug, so „untersucht“ der Autor auch etwa die Auswirkungen der Corankrise auf unsere Moral. Wenn ich hier „untersucht“ in Anführungszeichen setze, dann meine ich damit, dass es nicht wirklich sehr in analytische Tiefen geht, sondern mehr oder weniger immer wieder an den Common Sense appelliert wird. Und das gilt im Grunde meinem Eindruck nach für das ganze Buch. Es ist ein Werben um eine Moral, die irgendwie sympathisch ist und sich mehr oder weniger über das ganze Buch unsystematisch verteilt in groben Grundzügen vorfindet, ohne sich dabei lange mit der Frage zu befassen wie denn die moralischen Tatsachen nun eigentlich als moralische Tatsachen gefunden werden. Sind das vielleicht die Tatsachen, die dem Autor selbstverständlich erscheinen und die bei mir vielleicht etwas verdunkelt sind? Jedenfalls fordert Gabriel mich ja doch auch immerhin ein bisschen dazu auf daran mitzuarbeiten, moralische Tatsachen zu entdecken, aber wie finden wir einen gemeinsamen Nenner? Vielleicht läuft es darauf hinaus, moralische Selbstverständlichkeiten zu fördern die uns ein gutes Leben ermöglichen und die Welt retten. Aber das ist nun wirklich ein weites Feld. Wie das genau funktionieren kann, sagt der Autor nicht, er spricht im Grunde nur allgemein von vernünftiger, aufgeklärter, argumentierender Kooperation und das war‘s dann auch schon. Ob man um fruchtbringende moralische Selbstverständlichkeiten hervorzuzaubern und zu verbreiten tatsächlich unbedingt darauf insistieren muss, dass es universale Tatsachen so gibt wie sie sich der Autor vorstellt, die wir entdecken sollen, scheint mir zweifelhaft. Auch wenn mir das Konzept nicht unsympathisch ist, erscheint es mir als etwas statisch und das schöpferische am Wertentstehungsprozess kommt mir etwas zu kurz. Allerdings nimmt sich der Autor auch nicht wirklich Zeit, seinen Ansatz ausführlich und nicht nebulös vorzustellen und zeigt nur die Leitlinien auf. Für ein populärphilosophisches Buch durchaus legitim. Gar nicht teilen kann ich mit ihm seine fast ausschließlich negative Sicht der Digitalisierung, die es mir unter anderem immerhin ermöglicht meine Rezensionen ganz kostenlos zur Freude einiger Leser zu verbreiten.

Jürgen Czogalla,11.09.2020

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