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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Volker Gerhardt, Selbstbestimmung. Das Prinzip der Individualität, Stuttgart 2018, 2. Auflage

In seinem Buch will der Autor die Beziehung zwischen Moral und Leben genauer bestimmen. Dabei ist Moral für ihn ausschließlich die Sache eines Individuums, das ein Problem mit sich selber hat. Die Aufgaben einer Ethik sind für ihn zu klären, was ein moralisches Problem eigentlich ist. Ethik muss für ihn 1. herausarbeiten wie solche Probleme überhaupt entstehen und was der Mensch ist, dass ihm diese Probleme etwas bedeuten. Darum ist die menschliche Ausgangslage zu analysieren und die empirischen Lebensbedingen des Menschen sind zum Thema zu machen. Außerdem gehört 2. für ihn zu einer Grundlegung der Ethik die Klärung des Anspruchs, aus dem der Mensch dann handelt. Es geht also vornehmlich darum die Begriffe Leben, Handeln, Wollen, Freiheit, Verantwortung, Person und moralische Verpflichtung zu klären. Schließlich geht es auch noch 3. darum das Prinzip, das der Moral zugrunde liegt, freizulegen. Ein solches Prinzip kann etwa ein gelingendes Leben, Glück, Konsens, Gewissen, Vernunft, göttlicher Wille sein. Solange klar ist, dass sie alle ihren Ursprung im Selbstverständnis des handelnden Wesens haben, kann man sie alle nach Meinung von Gerhardt gelten lassen. Zuletzt ist dann 4. auch noch ein Sittengesetz oder kategorischen Imperativ herauszuarbeiten. Gerhardt meint für eine Grundlegung der Ethik reichen die ersten drei Punkte, auf die er sich dann auch in seinem Buch beschränkt. Indem er erörtert, wie sich der Mensch im aktiven Dasein selbst begreift stößt Gerhardt auf das Grundprinzip der Ethik, der Selbstbestimmung durch eigene Gründe. Er versteht Ethik als Selbstaufklärung des Individuums in praktischer Absicht.

Das Buch von Gerhardt ist sicher eines der wichtigsten Grundlagentexte zur Ethik in den letzten Jahren in deutscher Sprache. Es begründet auch dort, wo zum Teil für mich einfach Selbstverständlichkeiten vorliegen, die ich in der Regel nicht weiter hinterfrage. Dass Selbstbestimmung und Individualität wichtig für eine Begründung des Ethik ist, ist so für mich schon wirklich eine Binsenweisheit und wird auf vielen Seiten des Buches immer wieder problematisiert und begründet. Trotzdem haben mich seine Ausführungen nicht ermüdet und ermöglichten mir neue Einblicke. Weniger überzeugt hat mich dann sein Schritt von der Selbstbestimmung hin zum Anderen. Für mich geht es in der Ethik eben nicht nur um ein Problem, das der Mensch mit sich selber hat, sondern vor allem auch um die Fähigkeit berechtigte Bedürfnisse und Erwartungen anderer an einen Selbst zu erkennen, einzuordnen, und wo vernünftig auch gerecht zu werden. Dabei gibt es meiner Meinung nach Ansprüche, die berechtigt sind, ob mir das nun gefällt oder nicht gefällt, ob ich sie anerkenne oder auch nicht. Der Autor versucht durchaus diesen Schritt vom Individuum hin zur Welt zu gehen, aber bezeichnender Weise ist z.B. Gerechtigkeit, Familie, Freundschaft, aber auch etwa Vereinsamung kein besonderes Thema bei ihm. Das Buch ist mir also insgesamt zu selbstzentriert. Trotzdem habe ich es natürlich gerne und mit Gewinn gelesen.

Jürgen Czogalla, 29.07.2018

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