![]()  | 
                Philosophisch-ethische Rezensionen
             | 
  | 
Raymond Geuss, Nicht wie ein Liberaler denken, Berlin 2023Geuss liefert mit seinem Buch meiner Meinung nach eine Art von philosophischem
         Bildungsroman ab. Er selbst benennt 2 große darin behandelte Themen: In erster Linie der Liberalismus und in 2. Linie
         die Logik des Lebens in einer Nostalgieblase. Seine frühe Bildung hat er an einer US-amerikanischen katholischen Privatschule
         erhalten, die von aus Ungarn geflüchteten Priestern eines Ordens geleitet wurde. Er selbst nennt sein Buch eine ethnographische
         Darstellung einer bestimmten Nische in der Ökologie moderner Gesellschaften, die zudem starke autobiographische Komponenten
         enthält. Seinen Bildungsweg, auch den späteren an der Universität, empfindet er als antiliberal und zugleich als antiautoritär.
         Für das Kernstück des Liberalismus, gegen den er sich wendet, hält er die Fantasie eines völlig souveränen Individuums.
         Der Liberalismus ist für ihn eine selbsterzeugte Illusion, die nicht nur einen imaginären Trost für frustrierte Bedürfnisse,
         sondern vor allem den Interessen von Wirtschaftsakteuren dient. Er zeichnet also einen Lebensweg nach, der vom liberalen
         Konsens westlicher Gesellschaften abweicht und geht dabei deskriptiv und nicht argumentativ vor. Philosophen, die ihn
         während seines Studiums besonders beeinflussten, sind etwa Robert Paul Wolff, Sidney Morgenbesser, Robert Denoon Cumming
         und Theodor Adorno. Wichtig ist dem Autor zu erwähnen, dass er vielem, was er auf seinem Bildungsweg gelernt hat, jetzt
         natürlich auch kritisch bis ablehnend gegenübersteht, das gilt auch für sein Verhältnis zur Religion. Antiliberal und
         antiautoritär ist er aber offensichtlich immer noch eingestellt. Bis zu seiner Pensionierung war er Professor für Philosophie
         an der Universität Cambridge und hat zwischenzeitlich auch die britische Staatsbürgerschaft angenommen.
              
         Seinen eigenen Standpunkt stellt er nicht wirklich dezidiert dar, man kann versuchen ihn aus seinem Bildungsweg abzuleiten, bzw. aus ein paar dürren Bemerkungen. Ich habe aber gerne seinen interessanten Bildungsweg mitverfolgt und das ungewöhnliche Milieu, in dem er es erworben hat. Dieses Milieu schildet er treffend und vor allem nicht zu langatmig. Es macht auch einem interessierten Liberalen deutlich, wie um alles in der Welt es dazu kommen kann, dass jemand nicht liberal ist. Gutes Buch, gerne gelesen!  
                  
  |