Philosophisch-ethische Rezensionen
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Isabella Guanzini, Zärtlichkeit. Eine Philosophie der sanften Macht, 2019 MünchenZärtlichkeit steht nach Meinung der Autorin heute in Gefahr mit
Verweichlichung der Seele verwechselt zu werden, als eine eher peinliche Angelegenheit, ein Auswuchs unverzeihlicher
Schwäche, eine durch wirtschaftliche und technische Entwicklung überholte Form der Menschlichkeit zu gelten. Das sind für die
Autorin Anzeichen einer verbreiteten psychischen Deformation, die auch mit einer fokusierten monitären Ausrichtung
der Menschen zusammenhängt. Für die Autorin gilt es eine Zeitwende anzustoßen, in der erkannt wird, dass Zärtlichkeit
die grundlegende menschliche Fähigkeit Beziehungen zu knüpfen ist, die in der Lage ist ein guter Kitt für unsere
fragile Gesellschaft zu sein und sie wiederbeleben kann. Zärtlichkeit und Liebe als Köngiswege für eine neue
menschliche Ökologie, wie die Autorin meint. Sie geht so vor, dass sie das bedrohliche Klima unserer Zeit dem Leser
vor Augen hält - in den modernen Großstädten, in der Schilderung der kranken Müdigkeit unserer Gesellschaft und der
heutigen, nach Meinung der Autorin energetisch
fehlgeleiteten Jugend, die entweder zu lau oder zu krawallig sei, und
schließlich in dem sie eine allgemeine, fehlgeleitete Ichzentriertheit bloßlegt. In einem zweiten Schritt untersucht
die Autorin dann mögliche Orte der Zärtlichkeit, die uns zu Verfügung stehen und die wir nur immer wieder erwählen
sollten. Zärtlichkeit, die nach Meinung der Autorin in eine Landschaft der Verwüstung positiv hineinwirkt, Balsam für
Wunden ist und durch Härte bedrohtes Zusammenleben heilt. Gesten der Zärtlichkeit sind für sie die einzig mögliche
Hoffnung für alle in der Dunkelheit, die über Europas Metropolen hereinbricht.
Die Autorin gibt vor, dass sie objektiv die tatsächliche Situation unserer Zeit darstellt und analysiert, um dann zu zeigen,
wo und wie Zärtlichkeit hier wirken kann. Es ist nicht ganz ohne Witz, dass ich mich in der von ihr so objektiv-tatsächlichen
Situation gar nicht wiederfinde - so schwarz sehe ich meine Welt nicht, ich bin eigentlich recht zufrieden. Zärtlichkeit
spielt darin eine Rolle, aber sie als die große alleinige Heilsbringerin zu sehen, das scheint mir doch etwas arg
idealistisch. Für ein gutes Leben brauche ich auch noch ein paar andere Dinge. Und nach vergangenen Zeitaltern sehne ich mich
definitiv nicht zurück.
Differenziertes Denken findet man in dem Buch nicht, sondern eben plakativ schwarz und weiß. Mögliche Grenzen und vielleicht sogar Gefahren der Zärtlichkeit, wann Zärtlichkeit vielleicht sogar fehl gehen kann - all das interessiert die Autorin nicht. Sie vermittelt also ein stark idealisiertes und darum, wie ich finde, auch ein verkürztes Bild von Zärtlichkeit, wenn man so will ein super unkompliziertes Modell. Darum ist es für mich so ein bisschen ein populistisches Buch geworden, das mich intellektuell nicht befriedigt, auch wenn die Autorin gerade im zweiten Teil, nachdem sie unsere tatsächliche Situation - zu der ich nicht gehöre - analysiert hat, und sich der positiven Wirkkraft der Zärtlichkeit annimmt, viele Dinge beschreibt, in denen ich mich eher wiederfinde als im ersten Teil. Hier findet sie durchaus viele sehr schöne und poetische Formulierungen, die Zärtlichkeit sozusagen in ihren strahlensten Formen darstellt. Es finden sich im Buch desweiteren immer wieder positive Beziehungen zu Äußerungen von Papst Franziskus und der Heiligen Schrift. Auch andere philosophische Literatur wird fleißig und bisweilen ziemlich großflächig zitiert, ohne dass die Autorin meistens dem Leser erklärt, in welchem Zusammenhang die Zitate ursprünglich gestanden haben. Fazit: Populistisches Buch, für mich eher poetische Meditation als ein differenziertes und durchdachtes philosophisches Werk. |