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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Byung-Chul Han, Undinge. Umbrüche der Lebenswelt, Berlin 2021

Han stellt fest, dass die terrane Ordnung durch die digitale Ordnung abgelöst wird. Wir befinden uns seiner Meinung nach im Übergang vom Zeitalter der Dinge in das Zeitalter der Undinge: Unsere Lebenswelt bestimmen Informationen, nichts ist mehr hand- und dingfest. Die Ruhepole des Lebens entschwinden in einem Tsunami der Information, die aufgrund ihrer Flüchtigkeit das Leben destabilisieren. Wir hantieren nicht mehr an den Dingen, die passiv vorliegen, sondern wir kommunizieren und interagieren mit Infomaten. Der Mensch ist kein Dasein mehr, sondern ein Inforg, der kommuniziert und Informationen austauscht. Die digitale Ordnung ist für ihn ohne Geschichte und Erinnerung und fragmentiert so das Leben. In dieser algorithmisch gesteuerten Welt, so Han, büßt der Mensch zunehmend seine Handlungsmacht, seine Autonomie ein. Die Welt verliert sich in den Tiefenschichten neuronaler Netzwerke, zu denen der Mensch keinen Zugang mehr hat. So werden Informationen zuletzt desinformativ und wir werden in ein informationelles Chaos gestürzt, das uns in eine postfaktische Gesellschaft stürzt und die Epoche der Wahrheit beendet, beherrscht durch eine postfaktische Erregungskultur, die von Affekten und Emotionen beherrscht wird. Das Jagen nach Informationen verdrängt das kontemplative Verweilen bei den Dingen und das absichtslose Sehen, zeitintensive Praktiken wie Vertrauen, Versprechen, Verantwortung werden so destabilisiert. Der an seinem Smartphone nur spielende, nur genießen und erleben-wollende Phono sapiens verabschiedet sich von der Freiheit, die an die Handlung gebunden ist. Dieser handlose Mensch der Zukunft bedeutet Han das Ende der Geschichte. Die vollkommene Herrschaft bricht heran, in der alle Menschen nur noch spielen. Er wendet dann seine These an in dem er zum Beispiel unseren Smartphonegebrauch und unsere Selfiewütigkeit untersucht, oder die Entwicklung von künstlicher Intelligenz analysiert. Er beschreibt desweiteren eindrücklich, wie unsere Welt nachhaltig ihrer Dinghaftigkeit mit ihren Tücken verlustig geht und so massiv an Reichtum verliert.

Han hat einen schmissigen Essay geschrieben, der sich wunderbar liest und über den die junge Generation, die mit den digitalen Medien groß geworden ist, wahrscheinlich nur den Kopf schütteln kann, so herrlich einseitig ist das Essay und mit so wenig Verständnis für die neuen Technologien und mit so viel wehmütigen Blick auf die gute alte Zeit, wie man es tatsächlich von der älteren Generation schon fast erwarten kann. Ist dieser einseitige Blick gerechtfertigt, geht also unsere Menschheit und unsere Welt vor die Hunde? Wird die zukünftige Generation nicht mehr liebes- und beziehungsfähig sein, nicht mehr fähig zur inneren Einkehr und zum Kontakt mit den physischen Dingen um sie herum? Ich denke nein. Das Erschließen neuer Räume und Möglichkeiten muss nicht bedeuten, wie Han suggeriert, dass wertvolles Bewährtes einfach völlig verdrängt wird. Es wird seinen Platz behalten, aber sich wahrscheinlich auch etwas verändern. Das muss aber nicht die Lebensqualität als Ganzes nach unten drücken. Ich habe Vertrauen in die neue Generation, dass sie gute Wege findet mit den neuen Technologien und mit allem anderen, was das Leben sonst noch lebenswert macht.

Jürgen Czogalla, 27.06.2021

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