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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Dietmar Hübner, Was uns frei macht. Ein Versuch über die Autonomie des Willens, Berlin 2024

Was die Debatte um die Willensfreiheit betrifft, sieht Hübner vor allem 2 Konstellationen: Entweder werden Auslegungen zur Willensfreiheit als zu stark, zu gewagt, zu voraussetzungsreich erachtet. Dann wird zwar oft gelobt, dass solche Deutungen von Freiheit weit verbreiteten Intuitionen entgegenkommen, wann Menschen als willensfrei gelten können, allerdings ist es dann zumeist so, dass die Inhalte einem aufgeklärten Weltbild, dem Befund der modernen Naturwissenschaften widerstreiten, so etwa bei libertaristischen Ansätzen, die die lückenlose Naturkausalität bestreiten, um die Willensfreiheit zu retten. Das wird dann immer wieder als philosophisch überspannt und wissenschaftlich unhaltbar kritisiert. Oder eine Auffassung von Willensfreiheit wird als zu schwach, zu beschränkt, zu gehaltlos eingeschätzt. Dann wird zwar gesehen, dass hier das Verständnis von Freiheit womöglich auf keinen übermäßigen Spekulationen beruht, dafür aber kaum als Grundlage moralischer Zuschreibungen dienen kann. Vor allem kompatibilistische Ansätze, die lückenlose Naturkausalität und Willensfreiheit für vereinbar halten, die also in einer völlig determinierten Welt noch von freien menschlichen Handlungen sprechen möchten, sind von solchen Vorbehalten betroffen. Denn wie kann es hier noch angehen, Menschen noch ernsthaft für ihre Handlungen und Entscheidungen verantwortlich zu machen? Hübner setzt sich mit seiner eigenen Theorie ein bisschen zwischen alle Stühle. Zunächst führt er etwas in grundlegende Konzepte und Begrifflichkeiten der Freiheitsdebatte ein, bevor er sich dann insbesondere mit den Ansätzen von Harry Frankfurt und Wilfrid Sellars kritisch auseinandersetzt, wobei ihm besonders der Ansatz Sellars fruchtbar wird, er aber auch Anliegen von Frankfurt positiv aufnimmt. Für Hübner sind wir frei, weil wir Zugriff auf ein Reich der Gründe haben, das nicht als psychisches oder soziales Phänomen konzipiert ist oder als Erscheinungen mentaler oder kultureller Art, sondern er versteht Gründe als platonische Wesenheiten, die als solche eine unabhängige, abstrakte Existenz haben und in psychischen und sozialen Prozessen lediglich erschlossen werden. Freiheit ist für ihn außerdem keine Frage einer phänomenalen oder semantischen Perspektive, sondern ist ein echter ontologischer Befund, der eine echte Alternative zur kausalen Bestimmung liefert. Desweiteren sind Gründe für ihn von realer Wirksamkeit, die sie auf menschliche Handlungen und Entscheidungen entfalten. Das geschieht aber nach Hübner nicht auf sozusagen wunderbare Weise, indem Lücken in die kausale Struktur der Wirklichkeit gerissen oder ausgenutzt werden, sondern sie wirken ganz innerhalb der geschlossenen realen Welt, nämlich über mentale, neuronale Repräsentationen. Da diese Repräsentationen von Bewusstsein begleitet sind, nimmt der Handelnde entsprechend am nichtkausalen Charakter der Gründe teil. Seine Auffassung von Gründen bezeichnet Hübner als sehr milden Platonismus. Denn er geht nicht davon aus, dass es irgendeine mystische Sphäre gibt, in der Gründe als spekulative Substanzen oder körperlose Formen herumschwirren. Auch meint er nicht, es bedürfe irgendeiner esoterischen Fähigkeit der selbstversunkenen Wiedererinnerung, einer merkwürdigen intuitiven Ahnung, um sie zu erfassen. Sondern sie stellen für ihn rationale Strukturen dar, die als solche ontologisch andersartig und ontologisch eigenständig gegenüber physischen Gegenständen und materiellen Beziehungen sind. Sie sind für ihn jene fundamentalen Zuordnungen, denen zufolge bestimmte Charaktere, Handlungen oder Folgen als moralisch begrüßenswert, bestimmte Ansätze, Vollzüge oder Werke als ästhetisch gelungen, oder bestimmte Haltungen, Prozeduren oder Resultate als epistemisch angemessen gelten sollen. Letztlich will er sagen: Es gibt Gründe und Gründe sind nicht kausal. Ein Ansatz, darauf weist er hin, der sich für die „Ideen/Wertephilosophen“ Platon, Scheler oder Hartmann doch recht seltsam ausnehmen würde. Denn zu diesen nicht-kausalen Gründen gehören nach Hübner natürlich auch weniger gute oder auch schlechte und sich damit natürlich auch widerstreitende Gründe.

Hübner hat sein Buch ausdrücklich für eine breitere Leserschaft geschrieben. Es ist aber immer noch fordernd, aber nicht abgehoben und verschwurbelt. Es bietet neben seiner eigenen Theorie mit dem originellen Kniff Gründe platonisch zu verstehen zugleich aber auch eine gute Einführung in die Gesamtproblematik und tatsächlich auch eine kompetente Einführung in die Philosophie des Geistes. Den Leser lässt er Anteil an seiner Auseinandersetzung mit vielen gegenwärtigen Denkern zum Thema nehmen, auf die er immer wieder eingeht. Ein schönes Literaturverzeichnis macht Lust darauf, auch mal ein solches inspirierendes Buch mit anderen philosophischen Ansichten in die Hand zu nehmen. Auch wenn das Buch wirklich viele zum Teil recht aufdringliche Redundanzen enthält, ist es ein tolles Buch über menschliche Freiheit geworden. Sehr lesenswert!

Jürgen Czogalla, 31.08.2024

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