Philosophisch-ethische Rezensionen
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Johannes Fischer, Verstehen statt Begründen, Stuttgart 2012In seinem Buch geht der Autor auf vollen Konfrontationskurs zu dem, was er als derzeitig gängige akademische Ethik identifiziert. Er kritisiert, dass hier im Mittelpunkt der Moral moralische Urteile stehen würden, eine Regelethik, der es darum ginge moralische Bewertungen von Handlungen zu entwickeln und zu begründen, dass moralische Urteile mit dem Anspruch auf allgemeine Geltung verbunden wären, dass das Kriterium für moralische Wahrheit in deren argumentativer Begründung liegen würde, dass sich moralische Konflikte im Sinne argumentativer Rationalität entscheiden lassen könnten, dass Emotionen nichts zur moralischen Erkenntnis beitragen würden, da es ja hier nur um rationale Gründe ginge, dass Narrativität aufgrund von hier gegebenen Manipulationsmöglichkeiten keine moralische Wahrheit sicherstellen könnte, dass sich moralische Wahrheit in Subsumption des Einzelnen unter Prinzipien vollziehen würde und dass Ethik nicht das moralische Denken zu ihrem Gegenstand hätte.
Demgegenüber setzt der Autor auf eine Ethik, in der keine Kluft zwischen Tatsache und Wertung mehr besteht und die Emotionen als ihre Grundlage hat. Erkannt werden bei moralischen Bewertungen nach Ansicht des Autors bestimmte Muster (wie es sich genau mit diesen Mustern verhält, erfährt man nicht) in Situationen, die ihn atmosphärisch-emotional bewegen und die ihn „engagieren“. Er wird betroffen und stellt sich die Frage, was es in der wahrgenommenen Situation bedeuten würde, die jeweils betroffene Person zu sein. Dabei lässt sich dieses Betroffensein nach Meinung des Autors letztlich nicht argumentativ begründen, vielmehr führe die gegenwärtige akademische Ethik mit ihren rationalen argumentativen Begründungsversuchen dazu, dass sie die emotionale Grundlage verfehle, und eine Desorientiertheit entstünde. Um wirklich moralische Bewertungen zu verstehen, sei es darum auch unerlässlich, den lebensweltlichen Hintergrund mitzubedenken, der für die Hintergrundatmosphäre hauptverantwortlich sei. Das Hauptanliegen des Autors scheint mir dabei zu sein, dass er zu dem seiner Meinung nach richtigen moralischen Denken anleiten möchte. Wichtig ist ihm immer wieder auf die moralische Signifikanz von Situationen hinzuweisen, die uns zu moralischen Handlungen motivieren, eine Motivation, die sich letztlich nur intuitiv erschließt. In der Situation verborgene Muster bewegen uns solchermaßen zu moralischen Handlungen und letztlich geht es nach Meinung des Autors für uns darum, uns diesen Mustern zu öffnen, um wirklich moralfähig zu sein. Fischer geht ziemlich ausführlich auf mögliche Einwände der Standardethik zu seinem Entwurf ein und versucht sie zu entkräften. Die Apologie der eigenen Position, die sich so vor dem Leser in dieser Streitschrift entfaltet, empfinde ich als lehrreich, allerdings überzeugt mich die Position von Fischer letztlich nicht, trotz der von ihm vorgebrachten Argumente. Das liegt hauptsächlich daran, dass bei ihm meiner Meinung nach eine riesige Kluft zwischen unseren Emotionen und Intuitionen auf der einen Seite und einer möglichen argumentativen Begründung von moralischen Handlungen auf der anderen Seite entsteht. Beides ist hier im Grunde als unvereinbar dargestellt (wir sollen uns vielmehr nur noch narrative Geschichten erzählen, die uns dann moralisch bewegen sollen), und eben das empfinde ich als ziemlich – und zwar grotesk - implausibel und unvereinbar mit meinem lebensweltlichen Umfeld und meiner eigenen Lebenserfahrung. Die lehrt mich nämlich, dass Argumente durchaus auch etwas in Bewegung bringen und zum Engagement führen können. Ich denke Emotion und argumentative Ratio gehören hier zusammen und stehen im untrennbaren Wechselbezug zueinander. Eine einseitige Auflösung trifft sich nicht mit meiner Erfahrung und meinem Verständnis. Trotzdem war das Buch ein Gewinn für mich und hat mir geholfen, meinen eigenen Standpunkt zu vertiefen. Also: Klare Leseempfehlung! Jürgen Czogalla, 01.01.2012 |