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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Stuart Jeffries, Grand Hotel Abgrund. Die Frankfurter Schule und ihre Zeit, Stuttgart 2019

Stuart Jeffries erzählt die Geschichte der Frankfurter Schule, eine der einflussreichsten philosophischen Richtungen des 20. Jahrhunderts, in einem Buch mit Jahreskapitelgliederung: Teil I 1900-1920, Teil II Die 1920er Jahre, Teil II Die 1930er Jahre, und so weiter in 7 Teilen bis zum Abschied vom Abgrund mit z.B. Habermas und Honneth in den Nach-60ern. Die Bezeichnung Grand Hotel Abgrund für die Frankfurter Schule kommt von Lukács der Adorno und den anderen Mitgliedern der Schule vorwarf die notwendige Verbindung von Theorie und Praxis aufgegeben zu haben. Für ihn war die Frankfurter Philosophie nichts weiter als eine elitäre Interpretationsübung, genau wie bei allen anderen Philosophen vor Marx. Er wirft ihnen vor, dass sie gemütlich in einem komfortablen Etablissement residieren würden am Rande eines Abgrundes der Absurdität, dessen Anblick man bei opulenten Mahlzeiten analysiert und dessen Anblick den eigenen Komfort noch erhöht - Grand Hotel Abgrund.

Das Buch startet mit der aufmüpfigen Jugend der Frankfurter in großbürgerlich-jüdischen Umfeld. Er erzählt von der Gründung des Institutes für Sozialforschung im Jahre 1924, der Brutstätte der Frankfurter Schule. Zunächst noch stark marxistisch ausgerichtet. Nachdem dann Pollock und später Horkheimer die Leitung des Institutes übernommen hatten (Ende der 20er Jahre) wird der Marxismus pessimistischer. Es wird konstatiert, dass eine Revolution nicht unmittelbar bevorsteht, weil eine Zunahme an dem dazu erforderlichen Bewusstseins unter den Bedingungen der Moderne nicht möglich sei. Die Philosophen der Frankfurter Schule sind nach Meinung des Autors Mönche der Moderne gewesen, die ihre Arbeit in Zurückgezogenheit von der Welt leisteten, ohne Hoffnung Politik und Welt verändern zu können. Statt Deutschland zu revolutionieren, revolutionierten sie die marxistische Theorie. Für die Frankfurter Philosophen bewohnen wir im Kapitalismus weniger eine reale Welt als eine auf den Kopf gestellte Welt, in welcher Dinge zu Personen und Personen zu Dingen werden. Später suchen sie eine Verbindung von ihrer Kapitalismuskritik mit der Psychologie von Freud.

Vorgestellt werden vom Autor die Gedankenwelten der bedeutenden Köpfe der Schule, von Grünberg, Grossmann, Horkheimer, Benjamin Adorno, Fromm, Herbert Marcus bis in die Gegenwart zu Habermas und Honneth. Immer wieder wird der Erzählfaden unterbrochen durch ein paar nette Anekdoten. Interessant ist auch die Abkehr vom Grand Hotel Abgrund Ende der 60er etwa durch Habermas, der die Demokratie reformieren und menschlicher machen möchte mit einer Wendung hin zur Praxis. Bei Horkheimer und Adorno sucht man so etwas eher vergebens. Besonders spannend fand ich auch die Exilzeit der Frankfurter - vertrieben und verfolgt durch die Nazis - und wie sie die Gründe für die Heraufkunft des NS-Regimes analysiert haben.

Das Buch ist eher historisch und legt weniger Wert auf eine akribische Darstellung der Theorie, es wird ein Überblick über diese geboten, aber immer wieder durch Geschichtchen unterbrochen. Darum halte ich das Buch nicht wirklich empfehlenswert, weder vom Aufbau noch vom Inhalt her, um sich mit der Theorie tiefergehend vertraut zu machen. Da ist es schon eher etwas als Begleitlektüre zu empfehlen für Bücher, die das Geschichtliche vernachlässigen. In jedem Falle ist es hübsch unübersichtlich und voller Sperenzien, aber mit Charme.

Jürgen Czogalla,07.12.2019

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