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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Kate Kirkpatrick, Simone de Beauvoir. Ein modernes Leben, München 2020

Simone de Beauvoir ist für mich eine ikonische Frauengestalt des 20. Jahrhunderts, legendär nicht nur für ihre professionellen Fähigkeiten als Literatin, Philosophin und natürlich als Feministin, sondern auch für ihr turbulentes, man könnte es auch positiv wenden, erfülltes Privatleben mit lesbischen und heterosexuellen Beziehungen und natürlich ihre Dauerbeziehung zu Jean-Paul Sartre, die in sexueller Hinsicht aber nicht so der Hit war, wir Kirkpatrick deutlich macht. Simone war also alles andere als ein Kind von Traurigkeit, die aber auch immer wieder ein paar depressive Phasen mit Heuloutbursts zu bestehen hatte. Für Kirkpatrick ist sie denn auch eine herausragende Gestalt, deren Leistungen nicht zuletzt den Weg künftiger Frauen bahnten. Dabei greift sie auf neues Material zu, und zeigt auf, dass Beauvoir etwa in ihren eigenen biographischen Büchern wesentliche Teile ihres intellektuellen und persönlichen Lebens vor der Öffentlichkeit verborgen hatte. Zu diesem neueren Material etwa gehören die noch von Beauvoir 1983 veröffentlichten an sie von Sartre geschriebenen Briefe. Dann ihr 1990 nach ihrem Tod veröffentlichten Kriegstagebücher und ihre Briefe an Sartre, die die Öffentlichkeit teils schockierten, da darin ihre lesbischen Beziehungen auch zu ehemaligen Studentinnen von ihr belegt sind. 1997 wurden dann ihre Briefe an ihren amerikanischen Geliebten, den Schriftsteller Nelson Algren veröffentlicht, und wieder wurde die Öffentlichkeit verblüfft, da sie eine empfindsame und leidenschaftliche Beauvoir zeigen, leidenschaftlicher als je in ihren Briefen an Sartre. 2004 folgte schließlich die Veröffentlichung ihrer Korrespondenz mit Jacques-Laurent Bost auf französisch, die zeigt, dass sie mit diesem Mann während der ersten 10 Jahre ihres Paktes mit Sartre eine leidenschaftliche Affäre hatte und mit dem sie bis zu ihrem Tod verbunden blieb. Nach Kirkpatrick hat eine Neubewertung von Beauvoirs Leben eine gewaltsame Vertreibung Sartres aus dem (einzigen) Zentrum zu erfordern. In den letzten 10 Jahren wurden schließlich noch Beauvoirs Tagebücher aus ihrer Studienzeit veröffentlicht (bisher nicht auf Deutsch erschienen), die zeigen, dass sich ihr Leben, dass sie damals führte stark von dem unterschied, was sie selbst ihren Lesern berichtete. 2018 schließlich wurden die Briefe Beauvoirs an Claude Lanzmann zugänglich, ihrem einzigen Geliebten, den sie mit "du" angesprochen hatte. Dabei bekam sie, so Kirkpatrick, von der Nachwelt, sowohl in romantischer als auch intellektueller Hinsicht, immer wieder die Rolle als Sartres Beute zugewiesen. Das kann Kirkpatrick im Grunde mit ihrer Biographie widerlegen. Und sie stellt die Frage ob die große Liebesgeschichte des Jahrhunderts zwischen Sartre und Beauvoir letztlich nicht doch eher die Geschichte einer großen, einzigartigen Freundschaft war. Kirkpatrick stellt heraus, dass die Ideen von Beauvoir die Kraft hatten das Leben von Männern und Frauen gleichermaßen zu sprengen und dass sie selbst versuchte nach diesen Ideen auch ihr eigenes Leben einzurichten. Sie liebte das Leben, so Kirkpatrick, kämpfte gegen ihre Depressionen, fürchtete das Alter und hatte große Angst vor dem Tod. Sie stellt ihr Buch als die erste Biographie heraus, die sich auf die Geschichte bezieht, die Beauvoir selbst nicht öffentlich gemacht hat. Ein pralles, episches Leben.

Wer einen literarischen Leckerbissen mit dieser Biographie erwartet, wird etwas enttäuscht werden, denn über weite Strecken wird im Grunde einfachhin sachlich berichtet ohne großartig zu bewerten. Als Einführung in Beauvoirs Philosophie geht es für mich auch nicht durch, wenn auch natürlich dazu einiges zu ihrer Entwicklung und zu ihren Büchern gesagt wird, aber für mich ist der Schwerpunkt eher das Beziehungsgeflecht in dem sie stand, Beziehungen die sie schließlich zu der Frau gemacht haben, die sie geworden ist. Und es ist ein spannendes, reiches, engagiertes und aktives Leben gewesen und so wurde es beim Lesen des Buches je weiter ich kam immer spannender für mich. Als Kind noch stark religiös geprägt entwickelt sie sich zu einer der großen, existentialistischen, atheistischen Intellektuellen, die sich aber auch in reiferen Jahren nicht zu schade war noch einmal die Bibel zu lesen. Mit viel Sympathie habe ich mich mit ihrem Leben befasst, Dank an Kirkpatrick! Das Buch ist vom Leselevel her nicht zu schwierig, aber fachlich ambitioniert mit vielem Fußnoten und einem umfangreichen Literaturverzeichnis.

Jürgen Czogalla, 26.09.2021

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