Philosophisch-ethische Rezensionen
|
|
Bruno Latour, Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das neue Klimaregime, Berlin 2017Bruno Latour sieht eine neue Zeit am Anbrechen, das Anthropozän, in dem
sich die „alten“ Modernen und die neuen Erdverbundenen gegenüberstehen. Im alten Klimaregime ist jeder Konflikt schon
durch schlichte Anwendung der „Natur“-Gesetze entschieden, während es im neuen Klimaregime keinen souveränen Schlichter
mehr gibt. Im alten Regime sind die Objekte leblos, im neuen Regime ist die Lebendigkeit auf alle Entitäten verteilt –
die Unterscheidung zwischen leblosem Objekt und beseeltem Subjekt entfällt. Im alten Regime gibt es sozusagen noch
Polizeimaßnahmen, während im neuen Regime Krieg herrscht. Im neuen Klimaregime wird nicht versucht den Himmel auf die
Erde zu holen, sondern sich dank des Himmels um die Erde zu kümmern. Für Latour müssen wir von einem neuen Kriegszustand
ausgehen, bevor wir zu neuen Souveränitätsformen finden. Es geht darum zu bestimmen, wer Feind ist und sein eigenes
Territorium je zu verteidigen. Man soll sich nicht mehr hinter Objektivitäten, unbestreitbaren Werten, dem öffentlichen
Wohl und dem Wohlergehen der gemeinsamen Menschheit verstecken. Jeder soll klipp und klar sagen, von welcher Gottheit
er sich berufen und geschützt fühlt. Wollen wir eine politische Ökologie haben, so Latour, dann müssen wir von der
Gespaltenheit einer zu früh geeinigten Menschheit ausgehen. Für ihn stehen die im Holozän lebenden Menschen im Konflikt
mit den Erdverbundenen des Anthropozäns. Während die Modernen damit prahlen, dass sie rational und kritisch sind, leben
sie in Wirklichkeit nach dem Motto „nach mir die Sinnflut“. Dagegen sind die Erdverbundenen sensibel und verantwortungsvoll
weil sie einem Territorium zugehören, das aber nicht in einem Nationalstaat, sondern in Netzwerken besteht.
Die acht Vorträge über das neue Klimaregime sind zukunftsweisend, innovativ uns spannend. Es wird eingeladen, die Möglichkeit einer nachmodernen Welt zu ergreifen, die vom Gaia-Gedanken dominiert wird und die letztlich unser Rettungsanker in der globalen Klimakrise ist. Der Autor lässt sich dabei über die Themen aus wie man den leider nicht ganz unerfolgreichen Klimaskeptikern begegnen kann und wie uns der „moderne“ Naturbegriff und das „moderne“ Reden von der Globalisierung in die Irre führen. Und er fragt, wie wir die überlebenswichtigen Umbrüche politisch angehen können. Höhepunkt und Kernstück des Buches ist dabei für mich der dritte Vortrag, in dem der Autor die umstrittene Gaia-Konzeption von Lovelock interpretiert und als wegweisend würdig. Dieses Buch weist in eine in Ansätzen schon sichtbare, aufregende Zukunft und ermöglicht viele neue, innovative, diskussionswürdige Perspektiven. Mit dem Buch hat man die Chance wirklich bewusster Teil eines neuen Zeitalters zu werden. Wir leben in ganz aufregenden Zeiten! Fazit: Für mich ist das Buch der Höhepunkt meines philosophischen Jahres 2017!
|