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                Philosophisch-ethische Rezensionen
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Alasdair MacIntyre, Der Verlust der Tugend, Frankfurt/NewYork 1995MacIntyre  meint, dass etwas mit der Moral unserer Zeit ganz und gar nicht in  Ordnung ist, und man merkt, dass er sich in seinem jetzt auch  irgendwie nicht so recht wohlfühlt. Die Moral unserer Zeit, so  konstatiert er, ist in großer Unordnung. Das läge daran, dass sich  die Menschen einer Sprache bedienen würden, die aus schlecht  zusammenpassenden begrifflichen Bruchstücken aus unserer  Vergangenheit zusammengestückt wäre. Dadurch entstünde eine Unlösbarkeit  von Kontroversen, eben aufgrund der offenbaren Willkür der  streitenden Parteien. Der moralische Abstieg wird für ihn mit der  Aufklärung eingeleitet (die Menschenrechte, die hier z. B. definiert  wurden, entbehren für ihn bezeichnenderweise jeder rationalen  Grundlage und stellen für ihn lediglich mehr oder minder  fantastische Konstrukte dar), die die aristotelische Teleologie  angriff und die für MacIntyre ganz wunderbare aristotelische Ethik  schließlich ins Zwielicht abdrängte. Hier wurde für McIntyre die  Grundlage zu einem liberalen Individualismus gelegt, den er mit allem  Elan bekämpft, denn er versucht mit aller Macht die aristotelische  Moraltradition wieder zu beleben. Im Grunde ist er der Meinung, man  müsste diese hauptsächlich nur von ihrer biologistischen Teleologie  reinigen, und dann würde es schon wieder für uns heutige ganz  wunderbar passen. Die Aufklärung erklärt er für komplett  gescheitert und meint dies auch nachweisen zu können, indem er  aufzuzeigen sucht, dass sie in einer Linie zu dem seiner Meinung nach  in heutiger Zeit vorherrschenden, bösen Emotivismus steht. Wir alle  leben seiner Meinung nach schon in einem ganz finsteren, moralisch  erschöpften Zeitalter (er vergleicht unsere Zeit mit der Spätantike  und dem heraufziehenden Mittelalter) und er empfiehlt uns, lokale  Formen der Gemeinschaft zu schaffen, in der das moralische,  kulturelle Leben über dieses finstere Zeitalter hinaus  aufrechterhalten werden kann.
       Meiner Meinung nach ist das Buch teils von grandioser Einseitigkeit, teils ist es meines Erachtens sogar einfach grandioser Unfug. Alles Scheiße mit der Aufklärung und kein gutes Stück, dass sie uns hinterlässt? Das Heil liegt darin ihre Denkwege zu vergessen und zurück zu einem etwas modifzierten Aristoteles zu gehen? Wobei das vorgebliche Scheitern der Aufklärung in extenso nachgewiesen wird, aber viel zu wenig nachgesehen wird, worin denn damals die Menschen eigentlich ein so tiefes Unbehagen am Aristotelismus empfanden und um dann, um nicht ganz zu ersticken, nach anderen, neuen, individuelleren Wegen suchten. Weil diese Untersuchung im Buch meiner Meinung nach so unterrepräsentiert ist, habe ich ein gewisses Unbehagen an all dem aristotelischen Tugendpreis des Buches, denn bei aller Gelehrsamkeit fehlt so der ganzen Behandlung des Themas die wirklich entscheidende Tiefe. Das ist darum etwas schade, weil ich nämlich selbst in der Tat der Meinung bin, dass uns heutigen Aristoteles noch einiges zu sagen hat und dass Tugenden zu entwickeln und sich um ein gutes Leben in seiner Gesamtheit zu bemühen, das Ganze noch eingebettet in eine unterstützende Gemeinschaft, eigentlich eine sehr feine Sache ist. Um das zu sehen, ist es aber wohl kaum nötig, die Denkwege und Erkenntnisse der Aufklärung komplett der Müllhalde zuzuordnen. Interessant fand ich übrigens noch, als bekennender Bewunderer ihrer Werke, dass MacIntyre Jane Austen als die letzte große Vertreterin aristotelischer Tugendethik sieht, bevor unser vorgeblicher moralischer Niedergang so richtig einsetzt. Das Buch hat mir wichtige Blickwinkel auf die aristotelische Ethik eröffnet, ich fand es aufregend und empfehle es gerne weiter, denn es hat mich gut unterhalten, auch trotz es sich eigentlich in Sprache und Stil eher an ein rein akademisches Publikum wendet und ein wirklich wissenschaftliches Werk sein will.Jürgen Czogalla, 04.04.2013   
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