Philosophisch-ethische Rezensionen
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Martha C. Nussbaum, Politische Emotionen. Warum Liebe für Gerechtigkeit wichtig ist, Berlin 2014Martha Nussbaum ist der Meinung, dass Emotionen sehr wichtig dafür sind, wenn wir alle in Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit
zusammenleben wollen. Fehlt eine emotionale Bindung zum eigenen Gemeinwesen und dessen Werten, dann können dessen Ziele nicht mehr
in gebührender Dynamik und Tiefe verfolgt werden. Zugleich aber können allerdings auch schädliche Emotionen zu Spaltungen, Hierarchien,
Gleichgültigkeit und Borniertheit führen. Dabei, so meint Martha Nussbaum, dürfen wir antiliberalen Kräften aber auf keinen Fall die
Prägung von Gefühlen alleine überlassen, denn sonst erlangen sie einen gewaltigen Vorsprung bei der Gewinnung der Herzen von Menschen.
Politische Prinzipien brauchen eine emotionale Unterfütterung um langfristig Bestand zu haben, gleichzeitig müssen Mauern gegen Spaltung
und Hierarchien errichtet werden, am besten dadurch, dass Emotionen wie Mitgefühl und Zuneigung gefördert und gepflegt werden. In ihrem
Buch verfolgt sie die Ideengeschichte der politischen Emotionen, wie sie bei Rousseau, Herder, Mozart, Comte, Mill und Tagore entwickelt
wurden. Dabei kritisiert sie wohl Rousseau und Comte, stellt aber auch deren Verdienste heraus. Dagegen zeigt sich, dass sie hier sehr
auf einer Linie mit den Gedanken von Mill und insbesondere Tagore steht, wenn sie auch Erweiterungen und Vertiefungen vornimmt, gemäß
aktuellem Erkenntnisstand. Außerdem befasst sie sich mit der vergleichenden Verhaltensforschung bei Tieren und den psychologischen
Voraussetzungen für positive emotionale Bindung beim Menschen, um herauszufinden, was man tun kann, um positive Emotionen bei den
Mitbürgern zu wecken. Dabei zeigt es sich für sie, dass der Mensch unbedingt sein problematisches Verhältnis zum Körper, die Neigung,
Ekel vor Körperflüssigkeiten zu empfinden und diesen Ekel auf andere Menschen, und hier insbesondere auf Frauen, zu projizieren,
überwinden muss. Wenn Martha Nussbaum nach der Erzeugung und Entwicklung von positiven Gefühlen für das Gemeinwesen sucht, dann setzt
sie als Zielpunkt eine liberale, freiheitliche, nach Gerechtigkeit strebende Gesellschaft voraus, der es um die Entwicklung von
Möglichkeiten für den Menschen geht, ein erfülltes und lebenswertes Leben zu führen. Ein zentraler Gedanke hier von ihr ist auch die
Gleichheit der Menschen und die Unverletzlichkeit ihrer Würde. Sie nennt dann zahlreiche und detaillierte Beispiele, wie es Politikern
(genannt werden immer wieder Washington, Lincoln, Franklin D. Roosevelt, Churchill, Martin Luther King und Mahatma Gandhi) durch ihre
Reden und Taten, Architekten durch ihre Bauten, Musiker und Literaten durch ihre Kunstwerke immer wieder gelungen ist, Menschen
emotional für diese guten Werte zu begeistern. Dabei weiß sie, dass dafür anzuwendende Verfahren nicht auf alle Länder übertragbar
sind, denn Emotionen brauchen das erdige Klima eigener Geschichte, Tradition, Problemen und Kunst um sich positiv voll entfalten zu
können. Schwerpunktmäßig nimmt sie ihre Beispiele aus dem amerikanischen und indischen Kulturraum, die zwar kulturspezifisch
differenziert sind, aber doch insgesamt von den gleichen Idealen getragen werden. Neben den durchweg positiven Gefühlen, wie zum
Beispiel Liebe, zu der aber immer eine kritische Freiheit gehören sollte, und Mitgefühl, das Ekel überwindet, analysiert die Autorin
auch noch Gefühle, die negative Tendenzen zeitigen, dazu gehören für sie Angst, Neid und Scham. Besondere Bedeutung kommt in ihrer
Theorie der Liebe zu: Sie führt zur Sorge um seine Lieben als Selbstzweck und nicht als bloßes Mittel, spornt zur Achtung der
Menschenwürde an und fördert die Bereitschaft eigene Wünsche für ein höheres Ziel zurückzustellen. Die
Ideale, die ihr vorschweben,
sind in der Realität des menschlichen Körpers und in der menschlichen Psyche für sie fest verwurzelt und spiegeln wider, dass Menschen
Fortschritt, Schönheit und Gutes erstreben.
Was mir am Buch von Martha Nussbaum so besonders gut gefällt, ist seine Bodenständigkeit gepaart mit seiner Herzlichkeit, Wärme und liebenswerten Idealen. Bodenständig ist es durch die vielen kontextgebundenen Beispiele, die sie gibt und die sie, so ganz nebenbei, auch noch zu einer Vermittlerin der indischen Kultur für den Leser macht. Sie schält noch einmal die Ideale, von denen westliche Demokratien geprägt sind, heraus und zeigt hier auch deren Probleme und Gegner, ist aber immer optimistisch, dass sich die guten Werte letztlich durchsetzen. Kritisch gegenüber diesen Idealen ist sie in diesem Buch nicht. Ihre Theorie trägt sie sehr verständlich vor, allerdings bisweilen dergestalt, dass die Dinge etwas einfacher erscheinen, als sie in Wirklichkeit wohl sind. Einige indische Texte beließ der Herausgeber in seiner englischen Übersetzung und so fehlt hier der deutsche Text. Das bleibt aber wirklich die Ausnahme. Insgesamt ein wichtiges Buch zu einem sehr wichtigen, und wie ich meine, leider nur allzu oft vernachlässigtem philosophischen Thema, dem es um die Verbindung von Gefühl und Theorie zu tun ist. Jürgen Czogalla, 15.10.2014
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