Philosophisch-ethische Rezensionen
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Corine Pelluchon, Ethik der Wertschätzung. Tugenden für eine ungewisse Welt, Darmstadt 2019Die Autorin stellt eine Ethik vor mit der sie insbesondere auf die großen
Fragen unserer Zeit eine Antwort suchen möchte. Und diese sind für Sie Umwelt, Misshandlung von Tieren und Ökonomismus.
Das Besondere an Ihrer Ethik ist, dass es hier zunächst nicht um Richtlinien der vernünftigen Argumentation geht, die
dann zum guten Ziel führen. Sondern es geht viel eher darum für eine Lebensweise, die Geist und Körper ergreift zu werben,
um das Eintreten in einen guten Fluss, der in das gute Leben führt. Darum spielt für diesen Moralentwurf die konkrete
Motivation von Individuen, ihre Vorstellungen, Emotionen, Affekte und moralische Vorsätze eine Rolle, die sie veranlassen
könnten, ihren Lebensstil zu ändern und sich letztlich dann auch Änderungen auf sozialer und politischer Ebene ergeben.
Es geht dabei um ein sich Bewegen in Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit, die eine Sorge um die ganze Welt miteinschließt.
Dabei ist für die Autorin das Verhältnis zum Selbst der Schlüssel zum Verhältnis zum Mitmenschen, zu den Tieren und Pflanzen,
zur Ökonomie, Politik und Natur. Bedingung für die Wertschätzung ist dabei die Demut. Sie hält das Individuum dafür wachsam
Allmachtsfantasien zu verhindern und Versuchungen zur Herrschaft zu widerstehen. Auch lässt sie uns verstehen, dass das
Böse, dessen wir andere anklagen, sich auch immer irgendwie bei uns selbst findet. Demut erzeugt Milde und Mitleid, die notwendig
für die Ausbildung von Tugenden sind. In der Ethik der Wertschätzung werden der Respekt vor der menschlichen Pluralität
und Diversität und die Berücksichtigung von Interessen der Tiere zu Kriterien der Gerechtigkeit. Das Subjekt erweitert
sein Interesse und nimmt sich selbst als einen Teil des Universums wahr. Dabei greift die Autorin immer wieder Motive
der antiken Tugendethik, von Bernhard von Clairvaux, Spinoza, der Aufklärung und von Arne Næss auf, wobei der
transzendente Aufschwung zu Gott zugunsten eines innerweltlichen Transzendierens auf die Welt als Ganzes aufgegeben
wird, da die Autorin letztlich annimmt, dass der transzendente Aufschwung zu Gott in der traditionellen Ausformulierung
der modernen Problemlage wegen nicht mehr so zielführend ist, wie ihr eigener Ansatz. Ihre Konzeption der Wertschätzung
setzt keinen christlichen Glauben mehr voraus.
Wer mit Ethiken eher die Vorstellung von moralischen Prinzipien und deren Begründung verbindet, muss sich hier ein wenig umstellen. Vorgestellt werden primär keine Prinzipien, sondern die Autorin versucht die Herzen der Leser zu erreichen, insbesondere auch in dem sie die Fleischlichkeit und Verletzlichkeit des Menschen betont, auf aktuelle Probleme hinweist und zu einem Leben führen will, dass nicht der Ökonomie oder dem Nutzen, sondern der Liebe zur Welt gilt. Ein ermutigendes, und eigentlich auch sehr progressives Buch, mit christlichen Motiven zwar angereichert, aber vom Christentum selbst bereits emanzipiert, ohne dabei allerdings alle Türen zuzuschlagen. Man kann also auch als Christ noch guten Nutzen aus dieser Ethik ziehen, auch wenn Gott hier kein Thema mehr ist. Viele Ansichten etwa von Bernhard von Clairvaux finden sich hier wieder, aber mit entkernter Transzendenz, die auf das Mitsein in der Welt, in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gewendet wird. Besonders lobenswert ist es natürlich von der Autorin, dass die Umweltfragen einen breiten Raum in ihrem Buch einnehmen. Das sollten sie auch in zeitgenössischen Ethiken tun. |