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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Eva von Redecker, Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen, Frankfurt am Main 2020.

Die Autorin redet schon in ihrer Einleitung Klartext: Ihr geht es um die Befreiung von der zerstörerischen kapitalistischen Herrschaft, denn für sie zerstört der Kapitalismus das Leben. Sie spürt in ihrem Buch einer Revolution für das Leben nach die sie selbst zu befeuern sucht. Es geht in dieser neuen Revolution nicht mehr sosehr um eine soziale Revolution oder eine Bürgerrechtsbewegung, sondern um eine Mobilisierung für akut bedrohtes, für ein gemeinsam gewahrtes und solidarisch organisiertes Leben. So erzählt sie in diesem Kontext etwa von antirassistischen Kämpfen gegen Polizeigewalt, feministischem Kampf gegen Frauenmorde oder von den neuen Klimabewegungen, die das Schreckbild eines toten Planeten malen. Diese Bewegungen kennzeichnet die Autorin als antikapitalistisch, als einen Aufstand der Lebenden gegen die Lebenszerstörung. In den ersten Kapitel analysiert sie die zerstörerischen Tendenzen des Kapitalismus, die sich in Sachherrschaft (absolute Verfügungsgewalt über Eigentum), Phantombesitz (Anspruch über andere zu verfügen und sich selbst verfügbar zu machen) und sachliche Herrschaft (die Herrschaft, die Wertvolles von Nichtigem trennt und die von der Verwertung über uns errichtet wird, die Tyrannei des Profits). Ihre Ausführungen bettet die Autorin auch immer wieder in historische Belege und Beispiele ein. Die Autorin meint, dass selbst wenn der Kapitalismus nicht das Klima zerstörte er abgeschafft werden muss, weil er eine viehische Wirtschaftsform ist. Sie setzt sich für eine Lebensform ein die unserer Abhängigkeit von geteilten Lebensgrundlagen gerecht wird. Die neue Revolution blockiert Sachherrschaft, rettet, teilt, pflegt und regeneriert Leben.

Positiv für mich an dem Buch ist, dass mich die Autorin mit vielen Bewegungen bekannt macht, die sich für das – im weiten Sinne – gute Leben und unsere Lebensgrundlagen einsetzen. Indem sie sie in ihr Konzept der Kapitalismuskritik einspannt, erweckt sie ein bisschen den nicht wirklich zutreffenden Eindruck, sie wären alle mit ihrem Konzept in Einklang. Dafür ist ihr Konzept aber zu eng und ihre Kapitalismuskritik meiner Meinung nach zu einseitig negativ. Der Kapitalismus von heute ist ein anderer als etwa der des 19. Jahrhunderts und er wird sich deutlich reformieren müssen, wenn weiterhin gutes Leben möglich sein soll. Ich glaube aber nicht, dass er sich zur Unkenntlichkeit verändern muss. Sozialistische Lösungen, von denen die Autorin in ihrem Buch ein bisschen träumt – wobei auch hier der Begriff vielleicht schon etwas irreführend ist, denn es ist ein veränderter Sozialismus mit dem Primat des Lebens – sind bisher alle krass gescheitert und die Menschen haben sich da auch nicht wirklich wohl gefühlt. Eine kritische Analyse des Sozialismus liefert die Autorin aber leider gar nicht, Einseitigkeit ist hier Trumpf. Meiner Meinung nach entsteht eine wirklich zukunftsweisende Perspektive aber nur wenn man beides im Blick hat: eine gute Kapitalismuskritik und eine fundierte Kritik sozialistischer Visionen unter dem Aspekt des Primates des Lebens. Auf ein solches ausgewogenes, visionäres Buch warte ich. Dem noch am nächsten kommt im Moment Maja Göpels pragmatischer, ideologiefreier Blick in ihrem Büchlein „Unsere Welt neu denken“. Eva von Redecker liefert so etwas nicht. Vielleicht ist sie dafür einfach ideologisch schon zu verbildet.

Jürgen Czogalla, 23.01.2021

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