Philosophisch-ethische Rezensionen
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Barbara Reiter, Ethik des Zufalls, München 2012
Zufälle üben beträchtlichen Einfluss auf unser Leben aus, sei es etwa
wie wir einen Partner kennengelernt, was für eine Ausbildung wir
genossen und was für eine Arbeitsstelle wir bekommen haben.
In ihrem Buch spürt die Autorin der Rolle des Zufalls für unser Leben nach und stellt ihre Ansichten dar, wie man mit dem Zufall umgehen sollte. Dabei ist ihre Lösung die, den Zufall nicht ganz aus unserem Leben durch endlose (und letztlich nie vollkommen fruchtbare) rational-planerische Sicherungsmaßnahmen auszusperren, denn sie meint, dass wir den Zufall für ein geglücktes Leben unbedingt brauchen. Sie ruft vielmehr dazu auf, den Zufall in unsere ethisch relevanten Entscheidungsprozesse von Anfang an mit einzubeziehen. Diese Haltung der Offenheit gegenüber dem Zufall und die Integrationsbereitschaft des Zufalls in das je eigene Leben sind für sie mit einer rationalen Lebensführung vereinbar. Sie empfiehlt eine dynamische Vorstellung von Autonomie für ein geglücktes Leben, eine Autonomie, die darum weiß, dass eine Voraussetzung für sie das Nicht-Kontrollierbare, Zerbrechliche in unserem Leben ist, und die das auch anerkennt. So sind wir z. B. in unserem Leben auf andere Menschen angewiesen und wer sich hier autonom sozusagen nur abzuschotten sucht, der verfehlt letztlich ein geglücktes Leben. Um dieses wohlgelungene Integrieren des Zufalls ins eigene Leben zu erreichen, ist es letztlich nach Meinung der Autorin für uns nötig, bei Zeiten immer mal wieder die Rolle des Flaneurs einzunehmen, der seine eigenen Ziele auch einmal vergessen kann und sich dem ganz Anderen, dem Ganzen, öffnet und dabei trotzdem ein Flanieren, das an Prinzipien orientiert ist, betreibt. Und schließlich fordert die Autorin noch, dass eine Idee der Gerechtigkeit den Zufall berücksichtigen sollte, denn ihr geht es ja um die Bedingungen des geglückten Lebens und das gute Leben hängt eben unter anderem auch vom Zufall ab. Das Buch ist die Dissertation der Autorin und es ist erfreulicherweise kein unverdaulicher, verphilosophiewissenschaftlicher Brocken geworden. Ich bin mit dem Buch also gut zurechtgekommen, allerdings sind hier hin und wieder auch ein paar unübersetzte englische Zitate eingeflossen, sie halten sich aber in Grenzen und verstellen dem Leser, der vielleicht keine guten Englischkenntnisse hat, nicht das Gesamtverständnis. Wirklich schön ist das aber auch nicht. Wer allerdings von dem Buch eingehende Lebenshilfen erwartet, der wird enttäuscht werden. Anstelle von griffigen Konzepten, wie man nun den Zufall in sein Leben integrieren soll, verbleibt die Autorin doch meiner Meinung nach sehr im Allgemeinen, weiß aber sozusagen schon wenigstens ein paar Lebensbojen für den Leser als gut begründeten Vorschlag zu setzen. Wer sich für die Bedeutung des Zufalls für ein geglücktes Leben interessiert, einem, wie ich finde, doch arg vernachlässigten philosophischen Themas, der geht mit dem Lesen dieses Buches nicht fehl. Jürgen Czogalla, 01.09.2013
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