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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Richard Rorty, Pragmatismus als Antiautoritarismus, Berlin 2023

Kernstück dieses fulminanten Buches sind 10 legändere Vorlesungen von Rorty an der Universität Girona aus dem Jahr 1996, die von Rorty selbst noch schriftlich nachbearbeitet wurden, ohne dass sie allerdings bisher veröffentlicht wurden. In dem Nachwort zu diesem Buch spricht Eduardo Mendieta sehr gut aus, was dem Leser hier vorgelegt wird: Nämlich die umfassendste Darstellung Rortys eigener Lesart des Pragmatismus und seine Anschauungen darüber, wie weit man gekommen ist, seitdem man in der Sprachphilosophie die pragmatische Wendung vollzogen hat. Es ist sozusagen dazu sein abschließendes Wort, die reife Lesart der Vision seines bahnbrechenden Pragmatismus. Mit diesen 10 Vorlesungen liegt meiner Meinung nach auch die beste und verständlichste Einführung in Rortys vollständig gereifte Philosophie vor, also ein wirklich super spannendes, aufregendes, Manche vielleicht auch empörendes Buch, jedenfalls wohl eine der wichtigsten philosophischen Veröffentlichungen des Jahres. Also alles Superlative, wie man sieht. Hier nun die Titel der Vorlesungen: Pragmatismus und Religion, Pragmatismus als romantischer Polytheismus, Universalität und Wahrheit (Vorlesung 3 und 4), Panrelationalismus, Gegen Tiefe, Ethik ohne allgemeine Pflichten, Gerechtigkeit als globale Loyalität, Gibt es erhaltenswerte Aspekte des Emprismus? und John McDowells Lesart des Empirismus Oder: Über die Verantwortlichkeit des Menschen. Ich gebe jetzt einmal einfach ein paar Thesen aus der Vorlesung "Panrelationalismus" wieder, die sozusagen immer wieder auch in den anderen Vorlesungen als Grundthemen vorkommen. Rorty äußert hier die Meinung, dass wenn man aufhören würde, kantianische Fragen modaler Art zu stellen, wie z.B. "notwendig oder kontingent", "transzendental oder empirisch real" oder "unbedingt oder bedingt" würde man sich von der Verlockung befreien, die Debatte zwischen Realisten und Antirealisten ernst zu nehmen. Er glaubt entschieden nicht, dass das Stellen solcher modaler Fragen unser einziger Schutz gegen aufklärungsfeindlichen Irrationalismus ist. In einem Wort, er setzt mehr auf Dewey als auf Kant. Dinge sind für ihn das, was sie sind, dank ihrer Beziehung zu anderen Dingen und damit wendet er sich gegen den Einfluss von den Griechen übernommenen metaphysischen Dualismen, wie z.B. zwischen Wesen und Akzidens, Substanz und Eigenschaft und Realität und Erscheinung. Dieses Weltbild, dass aus griechischen Gegensätzen konstruiert wird, ist zu ersetzen durch das Bild eines Stromes fortwährender wechselnder Relationen, wobei auch diese Relationen sich ihrerseits in einem Geflecht weiterer Relationen auflösen. Zu dem Kreis der Panrealisten zählt Rorty nicht nur sich selbst, sondern auch so verschiedenartige Philosophen wie Davidson und Derrida, Putnam und Latour und Brandom und Foucault. Die Konsequenz aus diesem Denken ist, dass man keine Unterscheidung mehr treffen kann zwischen intrinsischen, nichtrelationalen und extrinsischen, relationalen Eigenschaften. Ebenso wenig kann man dann noch etwas anfangen mit den Unterscheidungen von Essentialisten zwischen notwendigen und kontingenten Eigenschaften, zwischen Wesen und Akzidens, zwischen Bedingungen der Möglichkeit und Bedingungen der Wirklichkeit. Die Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt und zwischen den vom Geist und von der Welt beigesteuerten Elementen des menschlichen Wissens entfällt. Dabei wird aber immer noch auf die kausalen Verbindungen zurückgegriffen und somit können die Vorwürfe wie Subjektivismus und Relativismus zurückgewiesen werden. Das Paradebeispiel für ihn für Fragen, die von Pragmatisten verworfen werden, ist die, ob man Beziehungen realistisch, als irgendwie vor der Erfindung von Praktiken gegeben oder ob man sie antirealistisch erst im Zuge einer Erfindung entstanden begreift. Der Grund für die pragmatische Verwerfung ist, dass sie in der Praxis gar keinen Unterschied machen. Denn für Rorty ist jemand, der den Panrelationalismus vertritt automatisch auch ein Pragmatist. Er schlägt dann vor, dass man alles so auffassen sollte wie eine Zahl. Hier ist es offensichtlich sehr schwer zu behaupten, Zahlen hätten einen intrinsischen Wert. Wenn man z.B. nach dem Wesen der Zahl 17 fragen würde, so wäre das eine Frage wie sie an und für sich wäre ohne eine Beziehung zu anderen Zahlen. Dazu meint er, dass keine Beschreibung uns einen Hinweis auf die intrinsische Siebzehnhaftigkeit liefern kann. Es lohnt sich also nicht im Hinblick auf Zahlen Essentialist zu sein. Der Panrelationalismus ist nun der Meinung, dass es sich ebenfalls nicht lohnt, eine essentialistische Theorie zu vertreten, wenn es um Tische, Sterne, Elektronen, Menschen, soziale Institutionen und so fort geht. Genau wie bei Zahlen gibt es für Rorty über sie nichts in Erfahrung zu bringen, außer einem unendlichen, großen, immerfort erweiterbarem Netz von Beziehungen zu anderen Dingen. Es gibt hier, durch und durch, nichts außer Relationen. Das bedeutet auch, dass es nichts über die Dinge zu wissen gibt, außer was in Sätzen über sie beschrieben wird. Als Pragmatist glaubt er, dass nicht die Wahrheit das Ziel der Forschung ist, sondern die Nützlichkeit. Da Sätze, so meint Rorty, nichts weiter leisten können, als Gegenstände in Beziehung zueinander zu setzen, wird jeder Satz, der einen Gegenstand beschreibt, diesem implizit oder explizit eine relationale Eigenschaft zuschreiben. Sprache ist somit kein Schleier mehr, der zwischen uns und dem Gegenstand liegt, sondern sie verknüpft Gegenstände miteinander. Es gibt für Rorty keine Möglichkeit hinter die Sprache zu gelangen. Von sich selbst beansprucht er in dieser Vorlesung nicht mehr geliefert zu haben als eine Neubeschreibung des Verhältnisses zwischen Mensch und dem Rest des Universums, die selbst wieder auf der Basis ihrer Zweckdienlichkeit beurteilt werden muss. Angestrebt wird, dass wir uns nicht mehr von einem Ort außerhalb unserer Geschichte und der Zeit aus betrachten, sondern wir sollen uns um die Herbeiführung einer besseren Zukunft, einer utopischen, demokratischen Gesellschaft bemühen. Die Philosophie wird als Mittel begriffen, das nicht zur Selbsterkenntnis führt, sondern zur Selbstveränderung beiträgt.

So damit habt ihr dann auch einen kleinen Einblick, wie es in dem Buch zur Sache geht. Also auch für Leute mit ganz anderem Hintergrund spannend, mal über den eigenen Blasenhorizont hinauszuschauen und sich anspruchsvoll herausfordern zu lassen. Dafür ist Rorty in jedem Fall ein echtes Vorbild. Denn mit vielen philosophischen Geistesgrößen seiner Zeit setzt er sich in seinen Vorträgen eingehend und tiefschürfend auseinander, so z.B. auch mit Habermas, den er in seiner kant'schen Verhaftetheit kritisiert. Das macht Lust darauf, sich auch einmal mit diesen anderen Autoren selbst auseinanderzusetzen. Mein Fazit: Dieses Buch ist ein großes philosophisches Ereignis!

Jürgen Czogalla, 16.04.2023

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