Philosophisch-ethische Rezensionen
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Gerhard Roth, Über den Menschen, Berlin 2021In dem Buch geht es um allgemeine Aspekte des Menschen, aber auch um
klassische philosophische Fragen, wie zum Beispiel nach der Natur des Bewusstseins oder der Grenzen unserer Erkenntnis
aus der Sicht der Neurowissenschaften und der empirisch-experimentellen Psychologie. Der Autor versucht in seinem Buch
jenseits des Kampfes um die Deutungshoheit über den Menschen und in Respekt vor geisteswissenschaftlichen Positionen
herauszuarbeiten, inwiefern neurowissenschaftliche Erkenntnisse dazu beitragen können ein umfassenderes Menschenbild
zu entwickeln. Er tut dies in dem Buch in jeweils einzelnen Kapiteln in denen es um die Frage nach der angeblichen
Einzigartigkeit des Menschen geht, der Persönlichkeitsentwicklung, dem Entstehen bewusster Ziele und unbewusster Motive,
dem Grad der Veränderbarkeit von Gefühlen, des Denkens und Verhaltens, der Rolle des Ichs, der Rolle der Intelligenz
und ihrer Wurzeln, der Entstehungsgeschichte von gewalttätigen Tuns und den Grenzen und Möglichkeiten von Psychotherapie
aus neurowissenschaftlicher Sicht. Dabei führt er die neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse ziemlich gedrängt
aus um dann anschließend jeweils noch die Frage sehr kurz zusammenfassend zu beantworten, welche Bedeutung das dann für
unser Menschenbild für das jeweilige Thema hat. Es geht aber auch um die Fragen nach
dem Verhältnis von Geist und Gehirn
und der Natur des Bewusstseins. In einem letzten Kapitel fasst dann der Autor das ganze Buch nochmal sehr gedrängt auf
ein paar Seiten zusammen. Dabei versucht der Autor immer wieder eine Brücke zwischen Neurowissenschaften und den Geistes-
und Gesellschaftswissenschaften zu schlagen. Er stellt fest, dass menschlicher Geist und menschliche Kultur nicht in
der Luft hängen, sondern sie werden über das Gehirn als Körperorgan vermittelt. Dieses wird aber nicht nur genetisch
und epigenetisch geformt, sondern die primäre und sekundäre soziale Umwelt prägt es und zwar bereits vorgeburtlich und
dann massiv nach der Geburt. Neuronale Netzwerke werden ausgebildet, die das Fühlen, Denken und Handel einschließlich
der Kommunikation ermöglichen.
Das Buch gibt in gedrängter Form Einblicke in aktuelle neurowissenschaftliche Forschungserkenntnisse. Dabei möchte der Autor aber jetzt für die Neurowissenschaft nicht unbedingt eine Deutungshoheit über ein mögliches Menschenbild proklamieren, aber sie soll (und kann das auch), einen wichtigen Beitrag leisten, das, was der Mensch eigentlich ist, besser zu erklären und geläufige Irrtümer zu enttarnen. Das Buch ist frei von Abbildungen und Fußnoten, aber mit einem guten Literaturverzeichnis. Es ist gut dafür geeignet sich einen Überblick zu verschaffen ohne sich als Laie oder Fachfremder zu sehr mit Details belasten zu müssen. Positiv ist, dass der Autor auch einen philosophischen Hintergrund hat und die Geisteswissenschaftler, die häufig doch sehr zurückhaltend um nicht zu sagen feindlich auf neurowissenschaftliche Forschungsergebnisse blicken und um ihre Deutungshoheit kämpfen, nicht einfach bloß abwatscht, sondern versucht sie abzuholen und in einen fruchtbaren Dialog mit ihnen zu treten der respektvoll ist. Er versucht Ängste zu zerstreuen und weist auch immer wieder auf die Grenzen der Neurowissenschaften hin. Zu einer Erklärung, was der Mensch eigentlich ist und damit wir uns besser verstehen, ist für ihn beides nötig: Ein Zusammenspiel und gegenseitiger Austausch von Geistes- und Sozialwissenschaften mit den Neurowissenschaften. Ein guter Ansatz, der sicher Früchte tragen wird, wie ich meine. Das Buch bekommt von mir auch eine klare Leseempfehlung für fachfremde Philosophen, die hier viele Themen wiederfinden die sie interessieren und wo zum Teil auch direkt auf philosophische Thesen eingegangen und abgeklopft wird, ob sie aus neurowissenschaftlicher Sicht plausibel sind. Ein spannender neurowissenschaftlicher Crashkurs! |