Philosophisch-ethische Rezensionen
|
|
Julian Nida-Rümelin & Nathalie Weidenfeld, Erotischer Humanismus. Zur Philosophie der Geschlechterbeziehung, München 2022Die Ehepartner Nida-Rümelin und Weidenfeld diskutieren in diesem Buch das
Verhältnis der Geschlechter. Dabei verstehen die Autoren unter Humanismus ein wohlwollendes, optimistisches Menschenbild,
das von Solidarität geprägt ist und in dem Jeder in seiner Lebenspanne sein Leben so gut wie möglich gestalten kann,
ohne Ressentiment und Hass, in respektvollem Umgang, kultureller Anerkennung und nicht zuletzt auch in erotischer
Faszination. Erotischer Humanismus wendet sich gegen ein inhumanes Miteinander, bei dem die Menschen auf Rollen und
Geschlechterstereotype reduziert werden. Ziel ist, dass Frauen mit Männern, Männern mit Männern und Frauen mit Frauen
unbeschwert durch gesellschaftliche Vorurteile miteinander kommunizieren, bzw. sich zusammenschließen können. Dabei
nimmt der erotische Humanismus durchaus auch Rücksicht auf individuelle Sensibilitäten, versucht sich aber zugleich
an Normen und Werten zu orientieren die ein Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft ermöglichen. Dabei
strebt er nicht nach einer Gleichverteilung zwischen den Geschlechtern, sondern nach respektvollem Umgang und gleichen
Chancen für Männer und Frauen. Er spricht sich dafür aus die Verteilung von Aufgaben den jeweiligen Lebensgemeinschaften
zu überlassen. Der Staat sollte die freie Selbstbestimmung von Familien stärken und existentielle Krisen abfedern. Er
sollte auf die Förderung von Selbstbestimmung und Kooperation zum Wohle der Kinder ausgerichtet sein. Für die Autoren
gerät die Forderung nach Quotierung und pauschaler Gleichverteilung in Widerspruch zu Selbstverantwortung und Freiheit
des Menschen. Hier gilt es ein Gleichgewicht zu finden zwischen individueller Selbstbestimmung, gesellschaftlichem
Ausgleich und Kooperation zwischen den Partnern untereinander. Zugleich setzt sich der erotische Humanismus für eine
Humanisierung der Arbeitswelt ein. Außerdem ist für die Autoren klar, dass erwachsene Menschen ein Recht darauf haben
ihre Partner unkommentiert von Dritten zu wählen. Sie wenden sich unter anderem gegen Verhaltenskodexe in Unternehmen,
die Liebschaften unter den Beschäftigten verbieten möchten (besonders in den USA gang und gebe). Denn: Menschenrechte
haben Vorrang auch vor vermeintlich nützlichen Konventionen. Sie stellen außerdem klar, dass erotisches Begehren keine
Bedrohung von Menschenwürde und Freiheit ist, sondern sie ermöglicht gelingende Zugänge zur Welt. Sie setzen sich ferner
gegen eine Normierung der Sexualität ein, damit die jeweiligen Partner auch hier Autoren ihres eigenen Lebens sein können
und selbst bestimmen, wie sie ihr erotisches Leben gestalten. Sie warnen allerdings davor, Sexualität etwa in Form von
Sexrobotern zu entpersonalisieren und die menschliche Dimension der Erotik so zu unterlaufen. Des Weiteren setzen sie
sich ein für Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, die sich zeigt im gegenseitigen Bemühen um Kooperation auf Augenhöhe,
gegenseitigem Respekt und Anerkenntnis der unterschiedlichen Lebenserfahrungen. In Bezug auf die Kunst wenden sich die
Autoren gegen eine Cancel-Kultur, die nicht zur Reinigung, sondern zu kollektivem Selbstbetrug führt. Moralische Standards
finden sie gut, moralisierende Zensur schlecht.
Das Ganze wird vor dem Leser in 15 straffen Kapiteln entfaltet, die sich je einem bestimmten Thema widmen, wie z.B. Geschlechtergerechtigkeit, Pornografie, Quotierung, Erotik in der Kunst oder z.B. auch Catcalling. Zu Anfang steht immer eine kurze Geschichte aus Literatur, Film, Fernsehen oder eigenen Erlebnissen, die einen Einstieg in das jeweilige Problemfeld geben. Danach kommt immer eine philosophische Analyse und ein kurzes Fazit mit ein paar Merksätzen (letzteres hat mir zum Beispiel dazu gedient oben das Buch ganz kurz zusammenzufassen). Unterstützt wird der Text immer wieder durch nette Abbildungen. Das Buch ist für ein philosophische Buch ungewöhnlich leicht zugänglich. Also ein unterhaltsames und nicht allzu schwieriges Lesen. Die Argumente werden gut vorgetragen, was natürlich durch die einleitende Geschichte jeweils immer wieder gut unterstützt wird. Philosophische Vorkenntnisse braucht es hier wirklich keine. Die Themenauswahl ist gut und interessant. Da ist nun wirklich für jeden was dabei. Eingefleischte Feministinnen alter Schule werden sich an dem Buch aber doch ziemlich reiben. Ich habe es sehr gerne gelesen. |