Philosophisch-ethische Rezensionen
|
|
Hilal Sezgin, Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen, München 2014Hilal Sezgin möchte uns mit ihrem Buch, wie sich beim Lesen bald herausstellt, zu einer veganen Lebensweise bekehren. Für eine solche
Lebensweise führt sie allerdings gute, nämlich ethische Gründe an, die sie in ihrem Buch entwickelt und immer wieder mit Fakten anreichert, wie der Mensch mit Tieren, insbesondere
auch mit seinen sogenannten Nutztieren in heutiger Zeit, mit dem besonderen Fokus auf industriellen Gesellschaften, so umgeht. In einem ersten Kapitel entwickelt die Autorin zunächst
einmal allgemeine, grundsätzliche Thesen für eine Tierethik, indem sie z. B. darauf hinweist, dass Moral da anfängt, wo die Interessen anderer meine Handlungen mitformen, und dass alle
Ichs, unsere eigenen und die der anderen gleichrangig sind: Ob Mensch oder Tier, jeder ist für sie ein Zentrum bewusster Wahrnehmung, das eigene Wünsche, Interessen und Empfindungen
besitzt. Mensch und auch Tier erscheinen so als Wesen, die nicht primär existieren um anderen zum Nutzen zu sein, sondern ein Recht darauf haben, eigenen Interessen zu folgen. Moralisch
verantwortlich für sie sind zwar nur wir Menschen, weil wir darum wissen uns so oder anders anderen gegenüber verhalten zu können, Tiere haben für sie aber dennoch ein Recht moralisch
von uns berücksichtigt zu werden, insofern es sich dabei um Tiere handelt, die bewusste Empfindungen haben - das sind also nicht alle Tiere (das gilt jetzt aber natürlich auch für
kleine menschliche Kinder, Demente oder geistig Verwirrte). Für die Autorin gibt es nun grundsätzlich keinen Grund, warum ein so empfindungsfähiges Wesen wertvoller sein soll als ein
anderes. Wir haben, so die Autorin, nun die moralische Pflicht, in das Leben anderer nicht grob, nach Lust und Laune und schädigend einzugreifen. So ergeben sich Rechte für jedes
einzelne Individuum, die nicht einfach auf eine Gesamtspezies hochgerechnet werden dürfen. Dann mutet die Autorin sukzessiv dem Leser in den folgenden Kapiteln sozusagen immer mehr zu:
Dürfen wir Tiere quälen (Thema Tierversuche) - die begründete Antwort der Autorin wird hier ein kategorisches Nein sein -, dürfen wir Tiere töten (z. B. zum Verzehr oder um Bekleidung
herzustellen) – wieder ein klares Nein der Autorin -, ja dürfen wir dann „wenigsten“
Tiere nutzen (z. B. Milchproduktion), aber auch hier letztlich ein erneutes, ethisch begründetes
Nein der Autorin: Tiere haben hier ihrer Meinung nach einfach nicht die Chance zu einem dauerhaften Wohlergehen, eine Chance zu einem hinreichend erfüllten Leben (sie beschreibt hier
z. B. die herzzerreißende Szene, wie ein Kalb in der Milchwirtschaft von seiner Mutter getrennt werden muss und noch tagelang verzweifelt nach dieser schreit, von der es dauerhaft
getrennt bleiben wird). Nach diesen „Zumutungen“ macht sie sich schließlich in einem letzten Kapitel noch Gedanken darüber, wie ein gutes Zusammenleben von Mensch und Tier ihrer Meinung
nach auszusehen hätte. Und wie bereits angedeutet, all diese Überlegungen haben bei ihr schließlich dazu geführt, dass sie selbst vegan lebt.
Das Buch von Hilal Sezgin gehört zu den Büchern, die die Welt ein Stück weit besser machen. Auch wenn es ihr wohl kaum gelingen wird, alle ihre Leser von einer ethisch begründeten veganen Lebensweise zu überzeugen, so sensibilisiert sie uns auf jeden Fall dafür unser Verhalten Tieren gegenüber vertieft zu reflektieren, auch indem sie z. B. knallhart auf das mehrere hundertmillionenfache Töten pro Jahr von Tieren allein in Deutschland für unseren Fleischkonsum hinweist, zumeist ein kalt industriell organisiertes und durchgeführtes Töten. Da kann einem schon der Appetit auf ein Schnitzel vergehen. Engagiert lässt sie hinter die Fassade unserer humanen Gesellschaft blicken, wo nackte, brutale Gewalt an Tieren gang und gäbe ist, zumeist schamhaft vor der Öffentlichkeit verborgen. Ihre ethische Argumentation ist dabei durchaus anspruchsvoll und dennoch bleibt ihr Buch dabei sehr gut lesbar, ist alles andere als klinisch-wissenschaftlich kalt und steril, sondern durchweg getragen von der Liebe zu Mensch und Tier, dabei aber nie fanatisch. Ihre Thesen unterlegt sie immer wieder mit anschaulichen Beispielen, die immer wieder auch ihren eigenen Erfahrungen entsprechen, führt sie doch selbst einen kleinen Gnadenhof in der Lüneburger Heide. Hut ab! Jürgen Czogalla, 06.03.2014
|