Philosophisch-ethische Rezensionen
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Andreas Urs Sommer, Eine Demokratie für das 21. Jahrhundert. Warum die Volksvertretung überholt ist und die Zukunft der direkten Demokratie gehört, Freiburg 2022Sommer konstatiert ein seit mehreren Jahrhunderten sich herausbildendes
selbstmächtiges Individuum, dessen Weltmacht, nämlich sein politisches Einflussvermögen, damit nicht mithalten kann.
Darum benennt er das gegenwertige politische Krisenbewusstsein als eine Krise der Nichtbeteiligung. Er nennt die derzeitige
Strukturierung unseres demokratisch-repräsentativen politischen Umfeldes urtümlich und nicht mehr dem entsprechend, was
der Emanzipation und Selbstermündigung von uns Heutigen angemessen ist. Wer den Menschen dagegen als aufgeklärtes
Individuum wirklich ernst nimmt, so Sommer, muss ihn in seinem Entscheidungsvermögen und in seiner Wirksamkeit freisetzen
und ihm die Möglichkeit sich unentwegt in politischer Entscheidung zu üben, einräumen. Daher spricht er sich für eine
direkt-partizipatorische Demokratie aus, für die das jetzt übliche repräsentative Parteiensystem mit ihren Abgeordneten,
die sozusagen für uns repräsentatorisch einstehen, eigentlich überflüssig ist. In seinem Buch geht er dann näher hin
darauf ein, was Repräsentation eigentlich bedeutet und um dann die Defizite dieses Systems aufzuweisen. Und er beantwortet
die Frage, wer politisch und wie man politisch seiner Meinung nach teilhaben soll. In einem letzten Kapitel entwirft er
dann eine fiktionale Geschichte bis ins Jahr 2072 mit für ihn wünschbarer Entwicklung. Lobend stellt er dabei immer wieder
die Mitwirkungsmöglichkeiten der Schweizer Bürger an sie betreffenden Entscheidungen heraus, auch wenn das System dort
wohl seines Erachtens auch noch nicht wirklich perfekt ist. Wenn wirklich alle mitentscheiden dürfen, davon ist er überzeugt,
neutralisiert sich der individuelle Egoismus und es entwickelt sich ein Kooperationsgeschehen zu gegenseitigem Nutzen.
Dabei ist Politik für ihn weder Konflikt noch Wettstreit oder Kampf im Freund-Feind-Schema, sondern ein Spannungsgeschehen.
Es geht in der für ihn gewünschten direktdemokratisch-paritizipatorischen Politik nicht darum Gegensätze aufzuheben
oder sich eine Hegemonie zu erkämpfen, sondern darum, die Möglichkeitsspielräume für alle Akteure zu erweitern, ohne
dabei die Möglichkeiten anderer zu beschneiden. Dabei zehrt seine gewünschte Form der Demokratie von leitenden Fiktionen,
wie etwa der von mündigen, selbstverantwortlichen und freien Bürgern und Bürgerinnen, die keinen Repräsentanten mehr
brauchen, um sich zu engagieren und politische Entscheidungen durchzusetzen.
Das Buch ist ein engagiertes und durchaus auch interessant begründetes Plädoyer für eine Form der Demokratie, die bei uns nur gelegentlich aufscheint und die wirklich auch anspruchsvoll verlangt, dass wir politische Entscheidungsprozesse nicht an Berufspolitiker abdrücken, sondern uns selbst immer wieder mitentscheidend einbringen. Entsprechende Strukturen dazu gibt es bei uns in Deutschland dazu derzeit aber sehr spärlich, sodass was der Autor vorschlägt eine ziemlich visionäre Zukunftsmusik ist. Sie können sich aber vielleicht auch selber fragen, ob sie zu einem solchen Engagement, das ja auch ziemlich zeitintensiv sein kann, bereit wären, wenn natürlich auch nicht in allen Fragen, denn wo man sich selbst für inkompetent hält oder wenig Interesse hat, da bleibt man dann natürlich - und hat dazu ausdrücklich die Freiheit, Entscheidungsprozessen fern. Zentral ist hier aber die These des Autors, dass wir uns am besten Vertreten, wenn wir das Heft selbst in die Hand nehmen. Wie das Ganze dann aber in der Praxis wirklich aussehen soll, deutet der Autor mehr oder weniger nur an, ohne hier ein neues politisches System wirklich detailliert zu entwerfen. Englischsprachige Texte übersetzt er nicht, soviel mal zur partizipatorischen Beteiligung. Allerdings gibt es wirklich nur ganz wenige solcher Passagen. |