Philosophisch-ethische Rezensionen
|
Omri Boehms Interpretation der alttestamentlichen Erzählung von der Bindung Isaaks (1. Mose 22,1-14)Boehm stellt fest, dass die übliche Lesart die ist, dass diese Geschichte
ein Modell bedingungslosen Gehorsams bietet: Aus der monotheistischen Vorstellung einer einzig wahren Gottheit folgt die
Verpflichtung zum absoluten Gehorsam. Das Gebot der Gottheit führt zur vorübergehenden Aufhebung des Ethischen. Boehm
führt jetzt aus, dass hier als Gottname Elohim im Original steht, der ein mehrdeutiger Ausdruck sei und ursprünglich für
staatliche Herrscher und Richter stand und erst später als Name von Gottheiten abgeleitet wurde. Gottheiten, die manchmal
als Richter erscheinen, werden als Elohim bezeichnet. Die zentrale Bedeutung von Elohim ist für den Autor das staatliche
Gesetz, die gemeinsame Norm des Landes, die durch Konventionen festgesetzt wird. Wenn in der Geschichte Elohim Abraham
gebietet, seinen Sohn Isaak zu opfern, dann steht das für Boehm für den Gehorsam gegenüber konventioneller, von Menschen
gemachten Autorität, der man sich anpasst, nämlich dem, was die Gesellschaft, in der man lebt für gerecht hält. Das ist
für Boehm der springende Punkt, denn die ethische und rechtliche Norm im Nahen Osten zur Abrahams Zeit bestand darin, seinen
Erstgeborenen zu opfern. Abrahams höchste Form der Prophetie besteht nun darin, dass er nicht dieser konventionellen Norm
gehorcht, sondern dass er sich der Wahrheit und nicht dem Konsens unterwirft, dass er "Gott" widerspricht und anstelle seines
Sohnes einen Widder opfert. Er gibt geradezu ein Vorbild des Ungehorsams ab. Übersetzt in die Sprache der Aufklärung wirft
er das Joch der Unmündigkeit ab und bedient sich mutig seines eigenen Verstandes. Es geht darum, dass sich selbst die Gottheit
dem Moralgesetz unterwerfen muss. Für Boehm ist die Rede des Engels in den Versen 11-18 eine spätere Interpolation in den
Text, denn hier wird die Gottheit nicht mehr Elohim, sondern Jahwe im Original genannt. Die ursprüngliche Geschichte hätte
also so geendet: Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das
Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das
Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da hob Abraham die Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen
Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. In der ursprünglichen Geschichte, so Boehm, verstößt also Abraham letztlich gegen Gottes Gebot. Abrahams ethischer Ungehorsam wird in seiner Interpretation zum Ausdruck der wahren Bedeutung von Glauben. |