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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Minna Salami: Wer ist Sophie Bosede Oluwole (1935-2018)?

Sie ist eine gelehrte, provokative nigerianische Philosophin, die eine zeitgenössische Version der Yoruba-Philosophie entwickelte. Bis zum 8. Lebensjahr hieß sie Bosede. Aber der Rektor legte dem Vater nahe sie in Sophia umzubenennen, weil sie so intelligent sei. Das deutet, so meint die Autorin, auf eine koloniale Mentalität im damaligen Bundestaat Ondo vor, wo Oluwole geboren wurde. Denn 21 Jahre davor war die britische Kolonie Nigeria gegründet worden. 1963 zog sie mit ihrem ersten Mann in die UDSSR nach Moskau, weil er dort ein Stipendium bekommen hatte, dann ging es weiter nach Köln und in die USA. Als sie 1967 nach Nigeria zurückkehrte schrieb sie sich an der Universität von Lagos ein, wo sie ihren Bachelor und Master in Philosophie ablegte. An der Universität Ibadan erhielt sie dann ihren Doktor in Philosophie als erste Nigerianerin, die jemals an einer nigerianischen Universität einen solchen erhalten hatte. Es begann eine lebenslange Beschäftigung mit dem Denken der Yoruba (sie lebten im vorkolonialen Königreich Oyo im Südwesten des heutigen Nigeria, dass sich von Benin bis Togo erstreckte). Angestoßen wurde ihre Beschäftigung damit dadurch, dass sie in ihrer Ausbildung in westlicher Philosophie immer hören musste, dass Afrikaner niemals irgendeine überzeugende Philosophietradition hervorgebracht hätten. Oluwole wollte das Gegenteil beweisen und sich um die Wiederentdeckung und Wiederbelebung des indigenen afrikanischen Wissen bemühen. Ihre These ist, dass abgesehen von altägyptischen, äthiopischen und islamischen Texten die afrikanische Erkenntnislehre durch Sprichwörter, rituelle Texte, Epen, musikalische Traditionen, Schöpfungsmythen, Lebensgeschichten, erzählten Geschichten und Rezitationen bewahrt worden sei und eben nicht durch schriftliche Arbeiten und dass durch Studium dieser Quellen die philosophischen Gedanken verstanden werden können. So demonstrierte sie, dass die mündlich tradierten Texte der Yoruba durchaus als Philosophie bezeichnet werden können. In ihrem Buch "Socrates and Òrúnmìlà: Two patron Saints of Classical Philosophy" (2014), präsentierte sie einen bahnbrechenden Vergleich zwischen Sokrates und Òrúnmìlà, auf den der Korpus Odù-Ifá zurückgeht, in dem Schüler seine Worte aufschrieben. Sie versteht darin Sokrates als den Vater der westlichen Philosophie, der genauso wie Òrúnmìlà als Vater der afrikanischen Philosophie nichts Selbstgeschriebenes hinterlassen hat. Sie verweist auch immer wieder auf inhaltliche Parallelen ihrer Lehren. Die Autorin hält Oluwole für einen seltener Fall von Philosophin, die beides war - akademische Philosophin und Philosophin fürs Volk.

Jürgen Czogalla, 12.06.2022