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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Elizabeth Anscombe erhebt Einspruch

Alic Halford Smith, Vizekanzler der Universität Oxford, hatte den Vorschlag unterbreitet dem ehemaligen US-Präsidenten Harry Truman die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford zu verleihen. Die Tradition sah vor, dass die Nominierung auf der Convocation (dem Leitungsgremium, dass sich aus allen Doktoren und Rektoren der Universität zusammensetzte) durchgewunken werden musste. Als es am 01. Mai 1956 zur Versammlung kam, gab es vorher bereits Gerüchte, dass einige weiblichen Dozenten einen Aufstand gegen die Zustimmung anzetteln wollten. Als Hauptunruhestifterin machte man bald Anscombe aus. Niemand konnte sich daran erinnern, dass es jemals zuvor zu Protesten in einem solchen Fall gekommen war. Und tatsächlich ging Anscombe ans Rednerpult mit den Worten: "Ich bin entschlossen, mich dem Vorschlag zu widersetzen, Mr. Truman hier in Oxford einen Ehrendoktor zu verleihen." Denn Truman hatte zu verantworten, dass in Japan 2 Atombomben abgeworfen worden waren. In ihren Ausführungen stellte sie klar, dass der Ehrendoktortitel eine gewisse Belohnung dafür sei, dass man eine angesehene Person ist. Eine sehr angesehene Person, so sagte sie dann, wird aber wohl kaum ein berühmt-berüchtigter Verbrecher sein. Für sie ist Trumans Handeln Mord, er hat ein paar Massaker auf dem Kerbholz. Sie verglich ihn dann noch mit den größten Schurken der Geschichte und benutzte an anderer Stelle das Wort Schlächter für ihn. Sie schloss, dass man "… auch durch Lob und Schmeichelei Anteil an der Schuld einer schlechten Tat haben kann." Der Historiker Alan Bullock folgte ihr auf dem Rednerpult, und er sprach sich, zur Erleichterung der Mehrheit der Anwesenden, für die Ehrung aus. Zwar, so meinte er, billige man nicht Trumans Handeln, man halte es sogar für einen Fehler, aber es gebe viele mildernde Umstände: Er hat die Bomben nicht alleine gebaut oder ihren Einsatz beschlossen, ohne sich beraten zu haben. Er war eben nur für die Entscheidung verantwortlich, dem Befehl. Ansonsten meinte er Truman habe einiges Gutes getan und das mit der Atombombe war sozusagen nur ein Nebenschauplatz seiner Laufbahn. Am Ende tat der Vorsitzende, Masterman, was er tun musst und brachte den Antrag vor das Gremium mit den Worten: "Placetne vobis, Domini Doctores, placetne vobis magistri?" Hätte jemand "non placet" gerufen, so wäre er gezwungen worden, eine förmliche Abstimmung durchzuführen. Zu seiner Erleichterung gab es keine solchen Einwände, oder zumindest keine die er wahrzunehmen gedachte. Nach ein oder zwei Sekunden Schweigen stellte er fest, dass der Beschluss einstimmig angenommen war. Die Nachricht von der "Eine-Frau-Kampagne" schaffte es sogar bis über den Atlantik in die New York Times, wo Truman nochmals versicherte, dass er unter denselben Bedingungen wieder genauso handeln würde.

Jürgen Czogalla, 23.04.2022