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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Adrian Daub, Der Mythos des Valley vom Scheitern

Der Silicon Valley meint, so Daub, dem Scheitern den Stachel genommen zu haben. Abweichungen vom Plan, Rückschläge und Holzwege sind Teil seiner DNA. Das Scheitern als zentrales Element einer Wiederauferstehung. Mit dem Mantra: "Scheitere beim nächsten Mal besser!", einem Zitat entliehen aus dem Buch von Samuel Beckett "Aufs Schlimmste zu", allerdings ziemlich kläglich aus dem Zusammenhang gerissen. Denn hier führt das bessere Scheitern nicht zum letztendlichen Erfolg, sondern zum Immer-Wieder-Scheitern und letztendlich zum Tod und eben nicht zur Rettung. Im Silicon Valley wird aus dem "Scheitere besser" eine Art von Aufmunterung und dem Scheitern letztlich aller Schmerz genommen und damit auch all die Erfahrung, die nur aus dem Schmerz kommen kann. Dabei werden immer wieder Listen genannt, die nur Leute außerhalb des betreffenden Bereiches beeindrucken werden. Wenn etwa erzählt wird, dass J.K. Rowling 12 Absagen erhielt bevor Harry Potter veröffentlicht wurde oder Beyoncé hundert Songs schreiben musste, bevor sie richtig Erfolg hatte, so sind das im Grunde keine Zahlen die den Insider überraschen. Mit nur zwölf Absagen hat man schon einen sehr guten Literaturagenten, und dass man nach hundert Songs den ersten Erfolg hat ist für die Musikbranche, so Daub, völlig normal. Aufschlussreich ist außerdem, dass bei diesem Narrativ das Augenmerk auf dem Individuum ruht. Damit wird auch ein Selbsthilfeethos etabliert. Scheitern als Weg zum besseren Ich, als Weg zur Erlösung, was dann immer wieder in Selbsthilfeplattitüden mündet. Dabei wird immer wieder vergessen, dass Scheitern auch mit Verantwortung verknüpft ist, mit Verantwortung füreinander: Viele der Mitarbeiter eines Tech-Unternehmens, das gescheitert ist, werden nicht mehr dabei sein, wenn sich das Glücksrad wieder dreht. Das Narrativ vom schönen Scheitern verhindert, so Daub, dass man sich mit dem Scheitern wirklich beschäftigt und ihm einen Sinn abgewinnt.

Jürgen Czogalla, 17.10.2021