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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Jean-Claude Michéa: Warum der Liberalismus letztlich auf eine Entmenschlichung unserer Gesellschaft abzielt

Zu Anfangs, so stellt Michéa fest, verstand sich der Liberalismus als Pessimismus der Intelligenz. Es ging um Anerkennung des unverbesserlichen Egoismus, einem Leben in Frieden, in der jeder seinen prosaischen Beschäftigungen nachgehen kann – in sicherer Distanz von allen Fanatismen. Künftig aber möchte er, so unterstellt der Autor, auch als schöne neue Welt verehrt werden. Jetzt geht es darum, den Widerspruch zwischen der Herstellung eines dem neuen, globalisierten Kapitalismus angepassten Menschen auf der einen Seite und dem einfachen Menschen, der für die Liberalen auf irritierende Art und Weise einfach auf seine Menschlichkeit beharrt (also nicht bloß monadengleicher Egoist zu sein, sondern auch zu geben und zu lieben), aufzulösen. Dieses Problem meint man mit technologischem Optimismus aushebeln zu können, in dem man davon träumt, dass wissenschaftliche Entdeckungen dabei helfen, die so widerstrebende Menschheit abzuschaffen (der Autor zitiert hier etwa Francis Fukuyama). Michéa konstatiert einen liberalen Eifer, der darauf abzielt, den einfachen Mann zu beseitigen. Dagegen sieht er im Aufbau einer anständigen Gesellschaft gleichzeitig auch ein Bollwerk zur Verteidigung der Menschheit. Allerdings hat eine merkantile und juristische Dressur des Menschen bereits begonnen, die den idealen kulturellen Kontext schaffen möchte, um den Egoismus zur üblichen Form menschlichen Verhaltens zu machen. Dieser finale Triumph des Kapitalismus ist aber nicht unausweichlich, aber er erscheint dem Autor immerhin bereits als plausibel. Das Verschwinden der Menschheit und die parallel dazu verlaufende Zerstörung der Natur erscheinen ihm bereits als seriöse liberale Arbeitshypothesen und nicht mehr als bloßer Science-Fiction.

Jürgen Czogalla

13.12.2014