Philosophisch-ethische Rezensionen
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Jean-Claude Michéa: Warum der Liberalismus letztlich auf eine Entmenschlichung unserer Gesellschaft abzieltZu Anfangs, so stellt Michéa fest, verstand sich der Liberalismus als Pessimismus der Intelligenz. Es ging um
Anerkennung des unverbesserlichen Egoismus, einem Leben in Frieden, in der jeder seinen prosaischen Beschäftigungen nachgehen kann – in sicherer Distanz
von allen Fanatismen. Künftig aber möchte er, so unterstellt der Autor, auch als schöne neue Welt verehrt werden. Jetzt geht es darum, den Widerspruch
zwischen der Herstellung eines dem neuen, globalisierten Kapitalismus angepassten Menschen auf der einen Seite und dem einfachen Menschen, der für die
Liberalen auf irritierende Art und Weise einfach auf seine Menschlichkeit beharrt (also nicht bloß monadengleicher Egoist zu sein, sondern auch zu geben
und zu lieben), aufzulösen. Dieses Problem meint man mit technologischem Optimismus aushebeln zu können, in dem man davon träumt, dass wissenschaftliche
Entdeckungen dabei helfen, die so widerstrebende Menschheit abzuschaffen (der Autor zitiert hier etwa Francis Fukuyama). Michéa konstatiert einen
liberalen Eifer, der darauf abzielt, den einfachen Mann zu beseitigen. Dagegen sieht er im Aufbau einer anständigen Gesellschaft gleichzeitig auch ein
Bollwerk zur Verteidigung der Menschheit. Allerdings hat eine merkantile und juristische Dressur des Menschen bereits begonnen, die den idealen
kulturellen Kontext schaffen möchte, um den Egoismus zur üblichen Form menschlichen Verhaltens zu machen. Dieser finale Triumph des Kapitalismus ist aber
nicht unausweichlich, aber er erscheint dem Autor immerhin bereits als plausibel. Das Verschwinden der Menschheit und die parallel dazu verlaufende
Zerstörung der Natur erscheinen ihm bereits als seriöse liberale Arbeitshypothesen und nicht mehr als bloßer Science-Fiction.
13.12.2014 |