Philosophisch-ethische Rezensionen
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Iris Murdochs Auslegung des Platonschen HöhlengleichnissesWenn Platon das Gute erklären will, so Murdoch, benutzt er das Bild der Sonne.
Der moralisch Suchende tritt aus der Höhle heraus und beginnt die wirkliche Welt im Licht der Sonne zu sehen, bis er zuletzt
sogar in der Lage ist, die Sonne selbst anzuschauen. Die Sonne erscheint als Endpunkt einer langen Suche, beinhaltet eine
Reorientierung und einen Aufstieg. Die Sonne ist dabei etwas reales, wenn auch weit entfernt. Sie spendet Licht und Energie
und ermöglicht es, die Wahrheit zu erkennen. In ihrem Licht sehen wir außerdem die Dinge in ihren wahren Zusammenhängen.
Sie selbst ist schwierig anzuschauen, denn sie ist anders als die Dinge, die sie beleuchtet. Dabei, so Murdoch, widersetzt
sich der Begriff des Guten dem Verfall und der Einverleibung in das selbstsüchtige empirische Bewusstsein. Das Gute verweist
auf eine Vollkommenheit, die vielleicht in der Welt, die wir kennen, niemals vorkommt, die aber Ideen von Hierarchie und
Transzendenz mit sich trägt. Das Selbst, der Ort, in dem wir leben, ist jedenfalls für Murdoch ein Ort der Illusion. Wenn
wir Güte sehen wollen, ist das also mit dem Versuch verbunden, das Nichtselbst zu sehen, die wirkliche Welt und auf diese
zu reagieren im Lichte eines tugendhaften Bewusstseins. Tugend ist also der Versuch, den Schleier des selbstsüchtigen
Bewusstseins zu zerreißen und an der wirklichen Welt teilzuhaben. Dieses Vorhaben kann allerdings nie gänzlich erfolgreich
erreicht werden. Platon, so Murdoch weiter, stellt sich die Reise der Seele als Aufstieg über 4 Ebenen der Erleuchtung vor.
Auf jeder Ebene entdeckt er weitere Dinge, die er bisher für Wirklichkeit hielt, die sich aber als bloße Schatten oder
Abbilder von noch wirklicheren Dingen entpuppen. Am Ende gelangt er zu einem ersten Prinzip, nämlich der Idee des Guten.
Dieses ermöglicht es dann wieder den Weg zurück hinabzusteigen, wobei die Seele sich jetzt aber ausschließlich durch die
Ideen oder wahren Auffassungen von Dingen bewegt, die sie zuvor nur halbwegs verstanden hatte. Die Seele erkennt jetzt die
Begriffe in ihrer wahren Natur und in ihren korrekten Beziehungen zueinander. Eine wichtige, zentrale und schwierige Tugend
ist in diesem Zusammenhang für Murdoch die Demut als selbstloser Respekt gegenüber der Wirklichkeit. Dabei umgibt die Idee
des Guten eine genuine Mysteriösität, die mit der systematischen und unerschöpflichen Vielseitigkeit der Welt und der
Zwecklosigkeit der Tugenden zusammenhängt. Auch gibt es für Murdoch eine Verbindung zwischen dem Begriff des Guten und den
Ideen von Tod und Zufall (der Zufall als Teilbereich des Todes). Das Gute ist also auch mysteriös aufgrund der Gebrechlichkeit
des Menschen. Im Höhlengleichnis Platons richtet sich der Blick der Gefangenen in der Höhle zunächst auf die hintere Wand.
Im Licht des Feuers, das hinter ihnen brennt, sehen sie hier die Schatten von Puppen, die zwischen ihnen und dem Feuer hin-
und hergetragen werden und sie halten diese Schatten für die gesamte Wirklichkeit. Drehen sie sich um, können sie das Feuer
sehen und müssen an diesem vorbeigehen, um die Höhle zu verlassen. Für Murdoch repräsentiert das Feuer das Selbst, für sie
die unbelehrbare Psyche, eine große Quelle von Energie und Wärme. Auf der 2. Erleuchtungsstufe kann die Seele in sich selbst
die Quelle von Neigungen, die sie bis dahin für blinde, selbstsüchtige Instinkte gehalten hat, erkennen. Sie sieht die Flammen
des Feuers als Schatten, von denen sie früher dachte, sie seien wirklich und sieht die wirklichen Puppen, anstelle der vorigen
Puppenschatten, die Nachahmungen von Gegenständen der wirklichen Welt sind. Nun gilt es aber zu durchschauen, dass das Feuer
nicht die Sonne und die Selbstprüfung nicht die Güte selbst ist. Man muss eine Aufmerksamkeit entwickeln, die fort vom Selbst
und zum Schauen in Richtung einer entfernten transzendenten Vollkommenheit führt, einer Quelle, so Murdoch, von nicht
verunreinigter Energie und neuer und ungeahnter Tugendhaftigkeit.
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