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Philosophisch-ethische Rezensionen
(Erscheinungsdatum der rezensierten Bücher: 20. und 21. Jahrhundert)

Nida-Rümelins Analyse der Ehrlichkeit in Bezug auf strukturelle Rationalität

Die punktuell optimierende Standardtheorie besagt, so stellt Nida-Rümelin fest, dass wir irrational handeln, wenn wir auf Vorteile verzichten, die wir ohne Kosten haben könnten. Als schräge Konsequenz erscheint dann etwa eine Person, die das richtige Restgeld rausgibt, ohne dass sie andernfalls befürchten müsste, bestraft zu werden, als irrational handelnd. Ehrliches Verhalten ohne punktuelle Anreize oder Sanktionen wird im Rahmen der Verhaltensökonomie als Konflikt zwischen sozialen Normen und Marktnormen interpretiert. Einige Ökonomen meinen dann es läge bei Unehrlichkeit sozusagen doch eine Sanktion vor, nämlich die des schlechten Gewissens, beziehungsweise ein Anreiz durch Lob. Für Nida-Rümelin eine an den Haaren herbeigezogenes Argument zur Immunisierungstrategie der Standardtheorie punktuell optimierender Rationalität. Für ihn ist es eher die exotische Ausnahme, dass wir ehrlich sind, weil wir uns vor dem schlechten Gewissen fürchten oder lobgeil sind. Die plausiblere Erklärung für ihn ist einfach die, dass es Menschen gibt, die in vielen Situationen einfach ehrlich sein wollen, und es sogar manche gibt, die immer ehrlich sein wollen. Menschen, die nie den Wunsch haben ehrlich zu handeln werden in aller Regel kriminell. Dagegen meint die Standardtheorie, dass ein Verhalten aus dem bloßen Wunsch heraus ehrlich zu sein irrational ist. Damit es hier als rational gilt muss es andere Wünsche bedienen, z.B. den Wunsch sein Wohlergehen zu maximieren, also z.B. ehrlich zu sein, um Strafen zu vermeiden. Dagegen meint Nida-Rümelin, dass Ehrlichkeit Ausdruck struktureller Rationalität sein kann, ja dass sie die natürlichste Interpretation der lebensweltlichen Begründungen ehrlichen Verhaltens ist. Als ehrliche Praxis bettet sie sich, so Nida-Rümelin, in eine interpersonelle Handlungsstruktur ein, die Ausdruck der Akzeptanz allgemeiner Ehrlichkeit ist.

Jürgen Czogalla, 20.08.2020